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Bisher gilt für die meisten Lebensmittel der ermäßigte Steuersatz von sieben Prozent, auch für Produkte mit viel Fett und Zucker. © Stadtratte / iStock / Thinkstock

Ökonomische Studie: Weniger Übergewichtige durch „gesunde Mehrwertsteuer“?

  • 13.11.2017
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Welche Wirkung hätte ein gestaffeltes System der Mehrwertsteuer für Lebensmittel auf die Entwicklung des Übergewichts und damit die Gesundheitskosten in Deutschland? In einer wissenschaftlichen Studie hat dies der Hamburger Ökonom Dr. Tobias Effertz untersucht. Seine Ergebnisse wurden heute im Rahmen einer Pressekonferenz vorgestellt.

Berechnet wurden von Effertz Konsumverhalten und Gewichtsentwicklung der Bevölkerung, wenn Obst und Gemüse gar nicht, ungesunde Lebensmittel aber höher als bisher besteuert würden. Die geringere Nachfrage bei erhöhten Preisen für fett- und zuckerreiche Lebensmittel ergäbe den Berechnungen zufolge eine Reduktion täglich aufgenommener Kalorien und nachfolgend eine Verringerung der Adipositasprävalenz, die dann auch mit niedrigeren Gesundheitskosten einherginge.

Bisher gilt für die meisten Lebensmittel der ermäßigte Steuersatz von sieben Prozent, auch für Produkte mit viel Fett und Zucker. Effertz‘ Studie, die von mehreren Gesundheitsorganisationen beauftragt wurde, untersucht als Alternative Szenarien mit verschiedenen Staffelungen der Mehrwertsteuer.

Am erfolgversprechendsten erwies sich dabei ein „Ampel Plus“ genanntes System mit folgenden Steuersätzen: Grün null Prozent: Obst und Gemüse; Gelb sieben Prozent: Normale Lebensmittel wie Nudeln, Milch oder Fleisch; Rot 19 Prozent: Produkte mit viel zugesetztem Zucker, Salz oder Fett wie Fertiggerichte, Chips oder Süßigkeiten. Der Steuersatz für Softdrinks, die für die Entwicklung von Übergewicht als besonders relevant gelten, würde in diesem Modell von heute 19 sogar auf 29 Prozent erhöht.

Rezepturänderungen nach Steueranpassung

In einigen Ländern, darunter Frankreich, Belgien und England, wurden und werden zum Teil schon steuerbezogene Modelle („Zuckersteuer“ auf Softdrinks) eingeführt, in anderen Ländern gibt es wie in Deutschland eine lebhafte Diskussion dazu, in Dänemark wurde eine eingeführte Zuckersteuer nach einem Jahr von einer neuen Regierung wieder gekippt, aus wirtschaftlichen Gründen [1].

Der Absatz von Softdrinks sank unter einer solchen Steuer jeweils, in Berkeley/Kalifornien mit einem relativ hohen Steuersatz auf Softdrinks z. B. um 21 Prozent. Wie stark sich eine niedrigere Nachfrage auf die tatsächliche Gewichtsentwicklung der Bevölkerung auswirkt, dazu gibt es bisher kaum Zahlen. Auch die von Effertz vorliegende Berechnung ist hypothetisch und basiert auf Schätzwerten, unter anderem der Preiselastizität der Nachfrage bei Lebensmitteln.

Sie zeigt daher lediglich die Möglichkeiten, die eine veränderte Steuer mit sich bringen könnte, wenn die Steuer sich auf die Preise wie geschätzt auswirkt, wenn die Verbraucher in dem Ausmaß, wie sie es bisher taten, auf Preisveränderungen mit einer entsprechenden Nachfrageanpassung reagieren und die dadurch nicht verzehrten Kalorien nicht anderweitig ausgleichen.

Zu erwarten ist, dass Hersteller von Fertigprodukten nach Steueranpassungen ihre Rezepturen im Hinblick auf einen niedrigeren Zuckergehalt ändern, um einer höheren Steuer zu entgehen – ein Zweitnutzen für die Verbraucher, die damit Produkte mit weniger Zucker angeboten bekämen.

Rahmenbedingungen verbessern

Trotz aller Bemühungen ist es bisher nicht gelungen, den Anstieg der Adipositas zu stoppen, geschweige denn umzukehren. „Das liegt nicht zuletzt an dem bisherigen Fokus der deutschen Politik, die hauptsächlich an die Verantwortung des Einzelnen appelliert und beispielsweise Kurse zur allgemeinen Aufklärung über gesunde Ernährung finanziert“, kritisiert Hauner.

Wissenschaftlich gilt dieser individuelle Ansatz als gescheitert, weil dadurch nur selten eine dauerhafte Gewichtsreduktion erreicht wird. Gesundheitsinstitutionen wie die Deutsche Allianz Nichtübertragbare Krankheiten (DANK) und die Weltgesundheitsorganisation (WHO) empfehlen stattdessen seit längerem, die Rahmenbedingungen für gesundes Verhalten zu verbessern.

Zu diesen Maßnahmen der Verhältnisprävention zählen auch Steueranpassungen, die daher zurzeit verstärkt beforscht und diskutiert werden. Stets genannt werden in diesem Zusammenhang auch ein Verbot von Lebensmittelwerbung, die sich an Kinder richtet, sowie verbindliche Standards für die Verpflegung in Kitas und Schulen.

Auch Prof. Achim Spiller forderte dieses Jahr in einem Beitrag in der ERNÄHRUNGS UMSCHAU bereits ein Methodenmix ernährungspolitischer Instrumente inklusive Steueranpassungen zur Verbesserung der Ernährungssituation der Deutschen [1].


Quelle: Aktion „gesunde Mwst.“



Hintergrund:

Die Studie „Die Auswirkungen der Besteuerung von Lebensmitteln auf Ernährungsverhalten, Körpergewicht und Gesundheitskosten in Deutschland“ wurde beauftragt und finanziert von (in alphabetischer Reihenfolge): Deutsche Adipositas Gesellschaft (DAG), Deutsche Diabetes Gesellschaft (DDG), Deutsche Diabetes Stiftung (DDS), diabetesDE – Deutsche Diabetes-Hilfe, Gesundheitsstadt Berlin e.V., Verband der Diabetes-Beratungs- und Schulungsberufe in Deutschland e.V. (VDBD), Christian-Albrechts-Universität zu Kiel.

Literatur:

1. Warum Coca Cola und Co. in den Kampfmodus schalten; manager magazin, Online-Beitrag vom 23.03.2016
2. Spiller A (2017) Instrumente der Ernährungspolitik, Teil 2. Ernährungs Umschau 64: M204–M210

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