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Online News: Penny-Kampagne „Wahre Preise“ – Hintergrund und Reaktionen

  • 14.08.2023
  • News
  • Redaktion

Der Discounter Penny hat mit einer deutschlandweiten Aktion vom 31.07. - 05.08.2023 für Diskussionen gesorgt: Wiener Würstchen kosteten bei der Supermarktkette plötzlich 6,01 Euro statt 3,19 Euro und auch neun andere Lebensmittel kosteten zu der Zeit bis zu 94 % mehr als vorher. Bei den höheren Preisen handelte es sich um die "wahren Preise", d. h. auch die „unsichtbaren Lebensmittelkosten“ wurden neben dem Herstellungspreis mitberücksichtigt. Darunter fallen bspw. Gesundheitskosten durch Stickoxide, Feinstaub und Treibhausgase, die bei der Lebensmittelerzeugung entstehen sowie Schäden durch Bodenerosion, Überdüngung von natürlichen Lebensräumen, Lebensmittelabfälle, Antibiotikaresistenzen oder Lebensmittelimporte aus wasserarmen Gebieten. Die einwöchige Kampagne zielte darauf ab, einen gesellschaftlichen Diskurs über die Umweltauswirkungen landwirtschaftlicher Wertschöpfungsketten anzustoßen und den Verbraucher*innen Umweltschadenskosten ausgewählter Produkte aufzuzeigen.

Wissenschaftliche Begleitung der Kampagne
Die Kampagne wurde wissenschaftlich von der Technischen Hochschule Nürnberg und der Universität Greifswald begleitet. Wissenschaftler*innen der beiden Hochschulen haben die „wahren Preise“ berechnet, indem sie neben den üblichen Herstellungskosten auch die Auswirkungen der Lebensmittelproduktion auf Boden, Klima, Wasser und Gesundheit in die Preiskalkulation einbezogen haben.

Die Berechnungen von monetarisierten Klima- und Umweltschäden für die ausgewählten Lebensmittel stützte sich auf die Methode True Cost Accounting (TCA) von Pieper et al. (2020) und Michalke et al. (2023), einem dreistufigen Prozess. Zuerst erfolgt eine Lebenszyklusanalyse (LCA) des ausgewählten Lebensmittels, um den Umwelteinfluss in Bezug auf 18 Wirkungskategorien der ReCiPe-Methode zu bestimmen. Dabei wurde auch zwischen konventioneller und ökologischer (EU-Bio) Produktion unterschieden. Für eine bessere Verständlichkeit wurden die Wirkungskategorien in die Kategorien Boden, Wasser, Gesundheit und Klima gruppiert. Im zweiten Schritt wurde jeder Wirkungskategorie ein Kostenfaktor zugeschrieben und die einzelnen sowie aggregierten externen Kosten berechnet. Im dritten Schritt wurde der wahre volkswirtschaftliche Preis des Lebensmittels berechnet und die Differenz bzw. der Aufschlag durch die externen Kosten dargestellt.

Die Berechnungen zeigten, dass der Preisaufschlag durch Einbeziehung der versteckten Umweltkosten nicht überall gleich ausfällt. Generell sei der notwendige Aufschlag bei rein pflanzlichen Produkten wegen der geringeren Umweltbelastung am niedrigsten, deutlich höher sei er bei Milchprodukten und am höchsten bei Fleisch.

Die folgende Tabelle zeigt die Berechnung der „wahren Kosten“ für die neun ausgewählten Lebensmittel, um die es in der Kampagnen-Woche ging:

Übersicht der Berechnung ausgewählter Artikel (Quelle: Gaugler, Michalke 2023)

Reaktionen
Von Zuspruch über Greenwashing-Vorwürfen bis hin zu Forderungen an die Politik Die Kampagne löste insgesamt ein großes Medienecho aus. Neben Lob und Zuspruch gab es insbesondere von Umwelt- und Verbraucherschutzorganisationen Kritik und Anregungen für einen zukünftigen Umgang mit Umweltschadenskosten von Lebensmitteln.

Greenpeace lobte die Aktion, fordert allerdings, dass auf eine solchen Schritt „grundlegende Maßnahmen“ folgen müssten und plädierte dafür, die Mehrwertsteuer auf pflanzliche Lebensmittel abzuschaffen. Parallel könne die Mehrwertsteuer auf Milchprodukte und Fleisch erhöht werden, da deren Produktion wesentlich umweltbelastender als die von Obst und Gemüse sei. Durch die Veränderungen in der Versteuerung der Lebensmittel ließen sich langfristig auch Konsumgewohnheiten ändern. Dieser Empfehlung schließt sich die Organisation ProVeg International ebenfalls an. Mit ihrer bereits seit 2022 laufenden eigenen Kampagne „0 % fürs Klima“ plädieren sie ebenso für eine dauerhafte Mehrwertsteuerbefreiung für pflanzliche Lebensmittel einschließlich pflanzlicher Alternativprodukte.

Auch der BUND sowie der Bundesverband der Verbraucherzentralen (VZBV) forderten, das Problem der verdeckten Umweltkosten bei der Lebensmittelproduktion konsequenter und langfristiger anzugehen. Ein Weg wäre nach Einschätzung der Verbände die Senkung der Mehrwertsteuer auf in der Produktion weniger umweltbelastende Lebensmittel wie Obst und Gemüse. Der VZBV adressierte zudem an die Politik: Sie müsse die gesetzlichen Standards für eine umwelt- und tiergerechte Lebensmittelproduktion anheben sowie die Preissteigerungen bei Lebensmitteln für Verbraucher finanziell abfedern.

Doch gab es auch grundlegende Kritik an der Aktion: Für die Verbraucherschutzorganisation Foodwatch etwa ist die Kampagne ein "reiner PR-Gag". Während Penny für gerade einmal neun seiner Produkte die "wahren Preise" verlange, drücke die Supermarktkette gleichzeitig die Preise für etliche andere klima- und umweltschädliche Lebensmittel wie Fleisch aufs Minimum. Der Deutsche Bauernverband warf Penny "Greenwashing“ vor.

Ausblick und Resümee
In einer repräsentativen Umfrage von Yougov vom 02.08.2023 gaben mit 44 Prozent der Großteil der Verbraucher*innen an, die Penny-Aktion "Wahre Preise" nicht unterstützen zu wollen. Wie die Kampagne insgesamt seitens der Verbraucher*innen zu resümieren ist, ist aktuell noch nicht bekannt. Der Discounter kündigte für Anfang kommenden Jahres eine Studie über den Ausgang der "Wahre-Kosten-Aktion" an. Penny sowie die Wissenschaftler*innen der Technischen Hochschule Nürnberg und der Universität Greifswald hätten entschieden, keine Zwischenbilanz zu Produktdaten und Umsatzauswirkungen zu veröffentlichen. Fest steht allerdings, dass Penny die Mehreinnahmen der Aktion in Höhe von 375 000 Euro an den „Zukunftsbauer“ – einem hauseigenen Projekt mit der Molkerei Berchtesgadener Land – spendet.

Projektleiter Tobias Gaugler (Technischen Hochschule Nürnberg) gab in einem tagesschau-Interview eine Einschätzung zu der Kampagne ab. Er glaube nicht, dass die Kund*innen tatsächlich zu den deutlich teurer gewordenen Produkten greifen. Auch das sei schon ein relevantes Ergebnis der Aktion, dass die Kund*innen nicht dazu bereit oder in der Lage sind, die höheren Preise schlussendlich zu bezahlen. Die Politik müsse "andere Wege" gehen, um die aktuellen Fehlbepreisungen im Handel zu reduzieren. Laut der an der Aktion beteiligten Hochschulen sind daher im nächsten Schritt Dialoge mit politischen und wirtschaftlichen Entscheidungsträger*innen geplant, um auf Grundlage der wissenschaftlich gewonnenen Erkenntnisse neue politische und wirtschaftliche Rahmenbedingungen zu schaffen.

Zwar ist die Sinnhaftigkeit der Kampagne von Penny diskutabel, letztlich hat sie aber eine gesellschaftlich relevante Fragestellung (wieder) auf die öffentliche Agenda gebracht: Wie und zu welchem Preis beziehen wir langfristig unsere Lebensmittel?


Quellen

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