Editorial 2/2024: Ohne Verhaltensänderung wird es nicht gehen

Für eine Gewichtszunahme benötigen wir eine positive, für eine Gewichtsabnahme eine negative Energiebilanz. Wir alle wissen, dass uns diese grundsätzliche Erkenntnis in der Praxis allerdings nicht unbedingt weiterhilft und dass die Bereitstellung noch so fundierter und auch inhaltlich überzeugender Ernährungsinformationen in der Beratung bei weitem nicht ausreicht und meistens nur wenig erfolgreich ist. Dies liegt auch daran, dass unser Ernährungsverhalten identitätsstiftend und ein komplexes Zusammenspiel biologischer, psychologischer, sozialer und umweltbedingter Faktoren ist, das weit über die Vermittlung von Ernährungswissen und über die Zubereitungskompetenz hinausgeht.

Einerseits steuern zahlreiche Gene über diverse Botenstoffe, Schaltkreise bzw. Signalwege im Gehirn unser Hunger- bzw. Sättigungsgefühl und nehmen somit Einfluss auf unser Körpergewicht. Andererseits beeinflussen unsere Gene aber auch, wie wir uns in einer bestimmten Ernährungsumwelt verhalten.
Unsere DNA bestimmt zwar, wie stark unser Drang zu essen ist. Dennoch sind die Gene nicht allmächtig und nicht allein entscheidend dafür, wie sich das Körpergewicht im Laufe des Lebens entwickelt. Einerseits mag z. B. eine Person genetisch veranlagt sein, sodass es ihr schwerfällt, auf (zu viel) Essen zu verzichten. Anderseits beeinflussen ihre Gene aber auch, wie sie sich in einem bestimmten Ernährungsumfeld verhält. So konnte in Studien gezeigt werden, dass der genetische Einfluss auf das Körpergewicht bei Personen aus Haushalten mit niedrigem sozioökonomischem Status fast doppelt so hoch ist wie bei Personen der Mittelschicht.
Daher macht es für das individuelle Adipositasrisiko einen großen Unterschied, ob jemand in eine Umgebung mit vielen Fast-Food-Läden sowie Discountern mit energiedichten Lebensmitteln und wenig attraktiven Bewegungs- und Sportmöglichkeiten oder in einen Haushalt hineingeboren ist, in dem immer viel frisches Obst und Gemüse und eine bewegungsfreundliche Umgebung vorhanden sind. Diese Beobachtungen zeigen uns deutlich, dass Menschen von ihren Eltern zwar adipositasrelevante Gene geerbt haben mögen, dass diese aber erst bei einem Aufwachsen und Leben in einem ungünstigen sozioökonomischen (adipogenen) Umfeld ihre volle Wirkung entfalten.
In ihrem umfangreichen Beitrag „Verhaltensinterventionen im Wandel: Status Quo und zukünftige Möglichkeiten“ ab S. M78 beleuchten Tina Joanes und Wencke Gwozdz aktuelle Herausforderungen, die bei Interventionen zur Verhaltensänderung bestehen und skizzieren innovative Ansätze, um diesen Herausforderungen zu begegnen.
Auch wenn es seit kurzem neue medizinisch dominierte Adipositastherapiekonzepte gibt. Eine langfristig erfolgreiche Gewichtsabnahme wird durch die im letzten Jahr gehypten neuen Abnehmspritzen oder durch bariatrische Operationen ohne Veränderungen des Ernährungsverhalten kaum zu erreichen sein.
Für die Fortbildung ebenfalls interessant ist der Beitrag von Christine Dawczynski ab S. M90 zu einem aktuellen Thema mit Basiswissen über „Potenziell kritische Nährstoffe bei vegetarischer und veganer Ernährung. Empfehlungen zur bedarfsgerechten Zufuhr – Teil 1“.

Ihr Helmut Heseker



Dieses Editorial finden Sie auch in ERNÄHRUNGS UMSCHAU 2/2024 auf Seite M57.

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