Ernährungspolitik: BMEL plant mehr Kinderschutz in der Lebensmittelwerbung

Um Kinder dem Einfluss von Werbung für ungesunde Lebensmittel nicht länger ungeschützt auszusetzen, plant das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft unter Minister Cem Özdemir, direkt an Kinder gerichtete Werbung für Lebensmittel mit hohem Zucker-, Fett- oder Salzgehalt gesetzlich zu regeln.

Die präventiven Maßnahmen des Ministeriums haben zum Ziel, die Kindergesundheit zu fördern und die steigende Prävalenz von z. B. Adipositas und Diabetes bei Kindern zu senken. Bisherige freiwillige Selbstverpflichtungen und Branchenregeln für an Kinder gerichtete Werbung haben sich als nicht effektiv herausgestellt. Das geplante Kinder-Lebensmittel-Werbegesetz (KWG) soll ein wirksamerer Baustein in der Gesundheitsförderung von Kindern werden.
Rund 15 % der Drei- bis Siebzehnjährigen in Deutschland sind übergewichtig, darunter knapp 6 % adipös. Aktuelle Daten weisen darauf hin, dass sich die Situation seit der Corona- Pandemie verschlechtert hat. Seit Beginn der Pandemie ist zudem die Mediennutzung bei 70 % der 3- bis 17-Jährigen angestiegen. Durchschnittlich 15 Werbespots für Lebensmittel mit hohem Zucker-, Fett- oder Salzgehalt sehen Kinder, die Medien (Internet und Fernsehen) nutzen, täglich. Etwa 92 % der Lebensmittelwerbung ist für Produkte wie Fast Food, Snacks oder Süßigkeiten. Eine zunehmende Bedeutung kommt dabei auch dem Influencermarketing in den sozialen Medien zu. Gemäß einer Studie der Medizinischen Universität Wien dürften 75 % der durch Influencer auf verschiedenen Social-Media-Kanälen vermarkteten Lebensmittel laut Weltgesundheitsorganisation (WHO) aufgrund ihres hohen Zucker-, Fett- oder Salzgehaltes nicht gegenüber Kindern und Jugendlichen beworben werden, da sie gegen die Werbestandards der WHO für Kinder verstoßen [1]. Um Kinder als besonders verletzliche Verbrauchergruppe vor negativen Werbeeinflüssen in allen relevanten Medien zu schützen, soll sich mit dem in der Koalition vereinbarten Vorhaben Werbung für Lebensmittel mit hohem Zucker-, Fett- oder Salzgehalt nicht mehr direkt an Kinder richten dürfen. Als Kinder werden demnach alle unter 14-Jährigen definiert. Das Gesetzesvorhaben umfasst alle für Kinder relevanten Medien, darunter auch das Influencermarketing.

Folgendes soll durch die Regelung nicht mehr zulässig sein:

  • An Kinder gerichtete Werbung für Lebensmittel mit hohem Zucker-, Fett- oder Salzgehalt in allen für Kinder relevanten Medien sowie an Kinder gerichtete Außenwerbung für Lebensmittel mit hohem Zucker-, Fett- oder Salzgehalt.
  • Aufgrund des Werbeumfelds oder des sonstigen Kontextes an Kinder gerichtete Werbung für Lebensmittel mit hohem Zucker-, Fett- oder Salzgehalt,
    - wenn sie zwischen 6 und 23 Uhr betrieben und damit bewusst in Kauf genommen wird, dass sie regelmäßig insbesondere auch von Kindern wahrgenommen wird bzw. wahrgenommen werden kann,
    - wenn sie im Kontext mit auch Kinder ansprechenden Inhalten betrieben wird,
    - wenn sie in Form von Außenwerbung im Umkreis von 100 Metern zu Schulen, Kindertageseinrichtungen, Spielplätzen oder Freizeiteinrichtungen betrieben wird.
  • An Kinder gerichtetes Sponsoring für Lebensmittel mit hohem Zucker-, Fett- oder Salzgehalt.

Die Beurteilung eines hohen Zucker-, Fett- oder Salzgehalts soll sich an den Anforderungen des Nährwertprofilmodells der WHO, Regionalbüro für Europa [2], orientieren. Diesen Vorgaben nach ist z. B. an Kinder gerichtete Werbung für Schokoladenwaren, andere Süßigkeiten, Eiscreme und Energy Drinks nicht erlaubt. Getränke dürfen für Kinder nur beworben werden, wenn sie keinerlei Zucker, Zuckerersatzstoffe oder Süßstoffe enthalten, Milchgetränke dürfen keinen zugesetzten Zucker enthalten. Frühstückszerealien müssen unter 10 g Fett und unter 15 g Zucker pro 100 g enthalten, Jogurts unter 2,5 g Fett und 10 g Zucker pro 100 g, um beworben werden zu dürfen. In zwei Ausnahmefällen werden die deutschen Regelungen von der WHO-Vorgabe abweichen: Im Gegensatz zu dieser dürfen Fruchtsäfte beworben werden, solange kein Zucker- oder Süßungsmittel zugesetzt ist. Das BMEL ist der Meinung, dass Obstsäfte trotz ihres natürlichen Zuckergehalts einen Beitrag zu einer gesunden Ernährung leisten, weil sie Vitamine liefern. Weiterhin dürfen Milchgetränke beworben werden, die einen Fettgehalt entsprechend der in Deutschland üblichen „Vollmilch“ (ca. 3,5–4 g Fett/100 mL) aufweisen. Im WHO-Modell sind hingegen nur 2,5 g Fett/100 mL erlaubt.

Lesen Sie hierzu auch unsere vertiefenden Beiträge zum Thema Verantwortungsvolles Kindermarketing, ERNÄHRUNGS UMSCHAU 6/2020 und zur Historie der freiwilligen Selbstverpflichtung in Bezug auf Kinderlebensmittel in ERNÄHRUNGS UMSCHAU 5/2021 sowie zu Ethik und Lebensmittelmarketing, ERNÄHRUNGS UMSCHAU 5/2016.

Literatur
1. Winzer E., et al.: Promotion of Food & Beverages by German- speaking Influencers Popular with Adolescents on TikTok, Instagram, and YouTube. Medizinische Universität Wien 2022
2. WHO Regional Office for Europe: WHO Regional Office for Europe Nutrient Profile Model. www.euro.who.int/__data/assets/pdf_file/0005/270716/Nutrient-children_web-new.pdf 

Quellen:

  • Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL): Mehr Kinderschutz in der Werbung: Pläne für klare Regeln zu an Kinder gerichteter Lebensmittelwerbung. Presseeinladung vom 27.02.2023
  • Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL): Presseinformation des BMEL zum Entwurf eines Gesetzes zum Schutz von Kindern vor Werbung für Lebensmittel mit hohem Zucker-, Fett- oder Salzgehalt (Kinder-Lebensmittel-Werbegesetz – KWG). Pressemeldung vom 03.03.2023

Pressestatement der Deutschen Adipositas-Gesellschaft (DAG)
„Minister Özdemir ist ein großer Wurf gelungen. Kinder sollen künftig umfassend vor Werbung für Ungesundes geschützt werden mit dem anerkannten WHO-Modell als Grundlage. Das ist konsequent und folgerichtig. Adipositas bei Kindern stellt ein zentrales Gesundheitsproblem dar und die Werbung für Ungesundes ist dafür ein wichtiger Faktor. Nicht ohne Grund zählt die WHO die Beschränkung der Werbung zu den prioritären Maßnahmen gegen Adipositas – neben der Besteuerung von Zuckergetränken und einem verbesserten Zugang zur Adipositas-Therapie. Die Koalitionspartner sollten die Pläne des Ministers unbedingt unterstützen, auch wenn Gegenwind zu erwarten ist. Die Interessen der Werbeindustrie, der Lebensmittelindustrie und der privaten Fernsehsender müssen hintenanstehen. Der Staat schuldet Kindern nach der UN-Kinderrechtskonvention das ‚erreichbare Höchstmaß an Gesundheit‘ aber nicht der Werbeindustrie das erreichbare Höchstmaß an Einnahmen durch Junkfood-Werbung. Wer die Pläne Özdemirs aufweichen will, stellt sich gegen die Kindergesundheit.“ Oliver Huizinga, Politischer Geschäftsführer der Deutschen Adipositas-Gesellschaft (DAG)
Quelle: Deutsche Adipositas-Gesellschaft (DAG), Pressemeldung vom 27.02.2023

Pressestatement von foodwatch
Die Verbraucherorganisation foodwatch äußert sich zu den BMEL-Plänen wie folgt: „Die heute auf den Weg gebrachten Werbeschranken für ungesunde Lebensmittel sind ein Meilenstein im Kampf gegen Fehlernährung und Übergewicht. Ernährungsminister Cem Özdemir macht endlich Schluss mit dem von der Bundesregierung jahrelang vorgelebten, erfolgslosen Prinzip der Freiwilligkeit.“ Luise Molling, foodwatch
Quelle: foodwatch, Pressmeldung vom 27.02.2023

Werbeverbot: Was sagt die Evidenz aus Cochrane Reviews?
Wissenschaftliche Evidenz zu einem Werbeverbot für Lebensmittel mit zu viel Zucker, Fett und Salz für Kinder und Jugendlich ist rar. Es gibt jedoch mehrere Cochrane Reviews, die für diese Frage zumindest indirekt relevant sind und den Erfolg gesundheitsfördernder Maßnahmen wie einem Werbeverbot nahelegen. Cochrane Deutschland bewertet die Lage wie folgt. Cochrane-Evidenz exakt zu dieser Fragestellung gibt es leider nicht. Doch man kann sich ihr durch den Blick auf verwandte Themen annähern. So hat Cochrane Studien zu den Auswirkungen von Werbung bzw. Werbeverboten für Tabak und Alkohol ausgewertet und den Nutzen von Interventionen für einen gesünderen Lebensstil bei Kindern untersucht [1–4]. Die untersuchten Studien zeigen, dass sowohl Werbung als auch eine leichte Verfügbarkeit von ungesunden Nahrungs- oder Genussmitteln deren Konsum tatsächlich begünstigt. Zusätzlich können sich Interventionen, die auf bessere Ernährung in Kombination mit mehr Bewegung abzielen, positiv auf die Vermeidung von Übergewicht bei Kindern und Jugendlichen auswirken. Ob ein Werbeverbot für ungesunde Lebensmittel seinen Zweck erfüllen wird, lässt sich auf Basis dieser Studienlage kaum beantworten.

Literatur
1. Werbebeschränkungen bzw. -verbote für alkoholische Getränke zur Verringerung des Alkoholkonsums von Erwachsenen und Jugendlichen. www.cochranelibrary.com/cdsr/doi/10.1002/14651858.CD010704.pub2/full/de 
2. Impact of tobacco advertising and promotion on increasing adolescent smoking behaviours. www.cochranelibrary.com/cdsr/doi/10.1002/14651858.CD012292.pub2/full/de 
3. Verhältnispräventive Maßnahmen zur Reduktion des Konsums und der gesundheitlichen Folgen von Süßgetränken. www.cochranelibrary.com/cdsr/doi/10.1002/14651858.CD012292.pub2/full/de 
4. Interventionen zur Prävention von Adipositas bei Kindern. www.cochranelibrary.com/cdsr/doi/10.1002/14651858.CD001871.pub4/full/de 

Quelle: Cochrane Deutschland, Pressemeldung vom 03.03.2023



Diesen Artikel finden Sie auch in ERNÄHRUNGS UMSCHAU 4/2023 von Seite M206 bis M207.

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