Leserbrief zum Beitrag: Die „Dublin Declaration of Scientists on the Societal Role of Livestock” – eine Einordnung

  • 13.09.2023
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  • Peer Ederer
  • Frederic Leroy
  • Peter von Philipsborn
  • Dominic Lemken

in ERNÄHRUNGS UMSCHAU 2023; 70(6): M376–9 und Antwort der Autoren

Im Heft 6/2023 haben sich die Autoren Dominic Lemken und Peter von Philipshorn mit der Dublin Deklaration auseinandergesetzt [1]. Als Co-Initiatoren dieser Deklaration begrüßen wir grundsätzlich jede fundierte Diskussion um diese wichtigen Inhalte, und bedanken uns ausdrücklich bei den Autoren für deren sachorientierte Bearbeitung.

Wir freuen uns, dass die Autoren vielen Aspekten der Dublin Deklaration zustimmen. Wir möchten den beiden Autoren aber in einem wichtigen Punkt widersprechen. Sie behaupten, dass „viele Menschen mit aktuell hohem Fleischkonsum gesundheitlich profitieren [können], wenn sie in ihrer Ernährung Fleisch durch gesunde pflanzliche Lebensmittel ersetzen“. Dafür werden zwei prominente Quellen als Nachweis angegeben, erstens [2] Willett 2019 (die berühmte EAT Lancet Planetary Health Studie), und zweitens [3] Afshin 2019, (die nicht minder berühmte Global Burden of Disease (GBD) Studie 1990-2017).
Beide Quellen halten wir untauglich für die Aussage, dass Personen ihren Fleischkonsum aus gesundheitlichen Gründen reduzieren sollten. Die EAT Lancet Studie war selbst weder eine Erhebung von wissenschaftlichen Primärdaten, noch eine objektive Übersicht über solche Erhebungen. Die EAT Expertenkommission bestand größtenteils aus öffentlich bekennenden Vegetariern und Veganern, die sich globalpolitisch schon länger für eine Reduzierung der globalen Nutztierherden einsetzen. Eine rigorose objektive Untersuchungssystematik ist nicht dokumentiert und vermutlich nicht vorhanden. Hinzu kommt, dass dieser sogenannten Planetary Health Diät seit ihrer Veröffentlichung schon mehrfach mangelnde Umsetzbarkeit, gesundheitliche Mängel und Kulturimperialismus nachgewiesen wurden, zum Beispiel zuletzt [4] Beal 2023, [5] Mente 2023 oder früher [6] The Nutrire CoLab 2020.
Hingegen haben die beiden ausführlichsten und objektiv durchgeführten Übersichtsstudien über alle wesentlichen Erhebungen mit weltweiten Primärdaten zum Fleischkonsum jeweils ergeben, dass es eben keine signifikanten Anhaltspunkte gibt, dass ein hoher Fleischkonsum gesundheitsschädlich ist. Die eine Studie war [7] Johnston 2019, und die andere [8] Lescinsky 2022. Letztere ist besonders wichtig, weil sowohl ihr Zweitautor Ashkan Afshin, wie der Seniorautor Christopher Murray auch die Hauptautoren der GBD Studien 2017 und 2019 waren, also der zweiten oben zitierten Quelle. Mit der Veröffentlichung in 2022 haben die beiden prominenten Wissenschaftler Afshin und Murray eingeräumt, dass „es nur ungenügende Nachweise für eine starke Empfehlung“ zur Reduktion von Fleischkonsum gibt. Sie haben auch bereits angekündigt, dass die zukünftigen GBD Studien entsprechend korrigiert werden.
Damit ist festzuhalten, dass es zwar immer wieder wissenschaftliche Meinungen über eine etwaige Gesundheitsschädlichkeit von hohem Fleischkonsum gibt, aber keine wissenschaftliche Evidenz dazu. Auch das noch so häufige Wiederholen dieser Ansichten, und sogar deren Erhebung in aktuelle Politikvorgaben des Bundesernährungsministeriums, macht aus diesen Meinungen keinen Nachweis dafür.

Prof. Dr. Peer Ederer (PE), Global Observatory for Accurate Livestock Sciences (GOALScience)
Prof. Dr. Frederic Leroy (FL), Vrije Universiteit Brussel
Co-Initiatoren der Dublin Deklaration

Interessenkonflikte
PE: GOALScience is organized by the Global Food and Agricultural Network, which is a company registered in Switzerland conducting scientific research and executive teaching.
FL is a non-remunerated board member of various academic non-profit organizations including the Belgian Association for Meat Science and Technology (president), The Belgian Society for Food microbiology (president), and the Belgian Nutrition Society. On a non-remunerated basis, he also serves on Scientific Board of World Farmers` Organization (WFO) and FAO/COAG Aub-Committee on Livestock.

Literatur

  1. Lemken D, von Philipsborn P: Die “Dublin Declaration of Scientists on the Societal Role of Livestock” – eine Einordnung. Ernährungs Umschau 2023; 70(6): M376–9.
  2. Willett W, Rockström J, Loken B, et al.: Food in the Anthropocene: the EAT–Lancet Commission on healthy diets from sustainable food systems. The Lancet 2019; 393(10170): 447–92.
  3. Afshin A, Sur PJ, Fay KA, et al.: Health effects of dietary risks in 195 countries, 1990–2017: a systematic analysis for the Global Burden of Disease Study 2017. The Lancet 2019; 393(10184): 1958–72.
  4. Beal T, Ortenzi F, Fanzo J: Estimated micronutrient shortfalls of the EAT-Lancet planetary health diet. Lancet Planet Health 2023; 7(3): e233–37.
  5. Mente A, Dehghan M, Rangarajan S, et al.: Diet, cardiovascular disease, and mortality in 80 countries. Europ Heart J 2023; 44(28): 2560–79.
  6. Burnett D, Carney MA, Carruth L, et al.: Anthropologists respond to the Lancet EAT Commission. Revista Bionatura 2020; 5(1): 1023–24.
  7. Johnston BC, Zeraatkar D, Han MA, et al.: Unprocessed red meat and processed meat consumption: dietary guideline recommendations from the nutritional recommendations (NutriRECS) consortium. Ann Intern Med 2019; 171(10): 756–64.
  8. Lescinsky H, Afshin A, Ashbaugh C, et al: Health effects associated with consumption of unprocessed red meat: a burden of proof study. Nat Med 2022; 28: 2075–82.

 

 

Antwort der Autoren zum Leserbrief

In ihrem Leserbrief zu unserem Beitrag kritisieren Peer Ederer und Frederic Leroy unsere Aussage, dass „viele Menschen mit aktuell hohem Fleischkonsum gesundheitlich profitieren [können], wenn sie in ihrer Ernährung Fleisch durch gesunde pflanzliche Lebensmittel ersetzen“. Es gäbe, so Ederer und Leroy, keine wissenschaftlichen Belege für diese Aussage.

Hierbei sollten wir zunächst „hohen Fleischkonsum“ genauer spezifizieren, um Missverständnisse zu vermeiden. Wir verstehen darunter einen Fleischkonsum, der über den Mengen liegt, die von einschlägigen, evidenzbasierten Ernährungsempfehlungen empfohlen werden, wie den von uns zitierten 10 Regeln der Deutschen Gesellschaft für Ernährung (DGE) und den Dietary Guidelines for Americans oder den Nordic Nutrition Recommendations [1–3]. Die DGE empfiehlt aktuell zum Beispiel für Erwachsene maximal 300–600 g Fleisch pro Woche [2]. Mit „gesunden pflanzlichen Lebensmitteln“ meinen wir Lebensmittel, die von den genannten Ernährungsempfehlungen als gesund empfohlen werden, wie z. B. Gemüse und Obst, Hülsenfrüchte, Vollkornprodukte, Nüsse und Samen in frischer oder eher gering verarbeiteter Form. Das „Ersetzen von Fleisch durch gesunde pflanzliche Lebensmittel“ bezieht sich nicht auf den gesamten Fleischkonsum, sondern auf den Teil des Fleischkonsums, der über die maximal empfohlenen Mengen hinausgeht.
Ederer und Leroy kritisieren insb. zwei der Studien, die wir in unserem Beitrag zitieren: den Bericht der EAT Lancet Kommission und die Global Burden of Disease Study [4, 5]. Sie plädieren dafür, sich stattdessen auf zwei andere Studien zu stützen, welche die wissenschaftliche Evidenz für Effekte des Fleischkonsums auf die individuelle menschliche Gesundheit als nur begrenzt belastbar einschätzen [6, 7].
Für eine ausgewogene und differenzierte Auseinandersetzung mit den Stärken und Schwächen und den berechtigten und weniger berechtigten Kritikpunkten an diesen Studien ist hier nicht der Platz. Unsere Aussage stützt sich auch nicht ausschließlich auf die beiden von Ederer und Leroy kritisierten Studien. Unsere Aussage stützt sich vielmehr auf den Gesamtkorpus an Evidenz, der in die Ableitung der genannten Ernährungsempfehlungen eingegangen ist. Dieser wird u. a. im Scientific Report of the 2020 Dietary Guidelines Advisory Committee dargestellt [8], ebenso wie im ausführlichen Hintergrundbericht zu den Nordic Nutrition Recommendations 2023 [3].
Insgesamt spricht aus unserer Sicht deutlich mehr für als gegen die Annahme, dass Menschen gesundheitlich profitieren, wenn sie sich an den genannten Empfehlungen für eine ausgewogene Ernährung orientieren – was neben anderen Aspekten auch eine Begrenzung des Fleischkonsums beinhaltet (aber nicht notwendigerweise einen vollständigen Verzicht auf Fleisch).
Bei der Frage, welche Menge an Fleischkonsum erstrebens- und empfehlenswert ist, spielen aus unserer Sicht auch noch weitere Aspekte eine wichtige Rolle, insb. solche der Nachhaltigkeit, der Tierethik und der planetaren Gesundheit [9, 10]. Diese Aspekte liefern weitere Argumente dafür, den Fleischkonsum auf moderate Mengen zu begrenzen.

Dr. med. Peter von Philipsborn (PvP), LMU München, Pettenkofer School of Public Health
Jun. Prof. Dr. Dominik Lemken (DL), Universität Bonn

Interessenkonflikte
PvP gibt an, Drittmittel vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) und dem Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) erhalten zu haben, sowie Vortragsund Manuskripthonorare sowie Erstattungen von Kongressgebühren und Reisekosten von der Deutschen Gesellschaft für Ernährung (DGE), der Österreichischen Gesellschaft für Ernährung (ÖGE), der Deutschen Adipositasgesellschaft (DAG), der Deutschen Diabetesgesellschaft (DDG), der Dr.-Rainer-Wild-Stiftung, der Verbraucherzentrale Bundesverband (vzbv) und dem WWF Deutschland.
DL erhält Förderung von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) und erhielt Förderung durch das BMBF. Er ist Mitglied der Dt. Gesellschaft für Wirtschafts- und Sozialwissenschaften des Landbaus.

Literatur

  1. U. S. Department of Agriculture (USDA): Dietary Guidelines for Americans 2020–2025. www.dietaryguidelines.gov/sites/default/files/2021-03/Dietary_Guidelines_for_Americans-2020-2025.pdf  (last accessed on 18 February 2022).
  2. Deutsche Gesellschaft für Ernährung e. V. (DGE): Vollwertig essen und trinken nach den 10 Regeln der DGE. www.dge.de/gesunde-ernaehrung/dge-ernaehrungsempfehlungen/10-regeln/  (last accessed on 15 August 2023).
  3. Nordic Council of Ministers: Nordic Nutrition Recommendations 2023. Integrating environmental aspects. https://pub.norden.org/nord2023-003/nord2023-003.pdf  (last accessed on 27 June 2023).
  4. Willett W, Rockström J, Loken B, et al.: Food in the Anthropocene: the EAT–Lancet Commission on healthy diets from sustainable food systems. The Lancet 2019; 393: 447–92.
  5. Afshin A, Sur PJ, Fay KA, et al.: Health effects of dietary risks in 195 countries, 1990–2017: a systematic analysis for the Global Burden of Disease Study 2017. The Lancet 2019; 393: 1958–72.
  6. Johnston BC, Zeraatkar D, Han MA, et al.: Unprocessed red meat and processed meat consumption: Dietary Guideline Recommendations from the Nutritional Recommendations (NutriRECS) Consortium. Ann of Intern Med 2019; 171(10): 756–64.
  7. Lescinsky H, Afshin A, Ashbaugh C, et al.: Health effects associated with consumption of unprocessed red meat: a burden of proof study. Nat Med 2022; 28: 2075–82.
  8. U. S. Department of Agriculture (USDA): Scientific Report of the 2020 Dietary Guidelines Advisory Committee. www.dietaryguidelines.gov/sites/default/files/2020-07/ScientificReport_of_the_2020_DietaryGuidelinesAdvisoryCommittee_first-print.pdf  (last accessed on 26 July 2023).
  9. Renner B, Arens-Azevedo U, Watzl B, Richter M, Virmani K, Linseisen J: DGE-Positionspapier zur nachhaltigeren Ernährung. Ernährungs Umschau 2021; 68(7): M406–16.
  10. Wissenschaftlicher Beirat für Agrarpolitik, Ernährung und gesundheitlichen Verbraucherschutz (WBAE): Politik für eine nachhaltigere Ernährung: Eine integrierte Ernährungspolitik entwickeln und faire Ernährungsumgebungen gestalten. www.bmel.de/SharedDocs/Downloads/DE/_Ministerium/Beiraete/agrarpolitik/wbae-gutachten-nachhaltige-ernaehrung.html  (last accessed on 24 September 2020).


Diese Artikel finden Sie auch in ERNÄHRUNGS UMSCHAU 9/2023 auf den Seiten M534 bis M535.

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