Bis heute gelten für bestimmte Tierarten keine tierschutzrechtlichen Mindestvorgaben. Das soll das Tierhaltungskennzeichnungsgesetz (TierHaltKennzG) nun ändern. ©Astrid860/iStock/GettyImagesPlus

Online News: Tierschutz und Nachhaltigkeit: Bundesregierung unternimmt erste Schritte zur Neuausrichtung der landwirtschaftlichen Tierhaltung

  • 11.01.2023
  • News
  • Redaktion

Die aktuelle Bundesregierung hat sich zum Ziel gesetzt, die landwirtschaftliche Tierhaltung in Deutschland neben Kriterien der Wirtschaftlichkeit schrittweise stärker an Nachhaltigkeits- und Tierschutzkriterien auszurichten.

Eine „zukunftsfeste“ landwirtschaftliche Tierhaltung soll Aspekte des Tier- und Klimaschutzes stärker berücksichtigen, Transparenz für VerbraucherInnen schaffen und den Betrieben eine langfristige wirtschaftliche Perspektive bieten, so das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft in seinem Eckpunktepapier „Zukunftsfeste Tierhaltung“. Bis heute gelten für bestimmte Tierarten keine tierschutzrechtlichen Mindestvorgaben, Tierhaltungskennzeichnung erfolgt bisher – wenn überhaupt – privatwirtschaftlich und freiwillig. Ziel des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) ist es nun, bei ökonomischer Sicherheit für die Landwirte den Tierschutz nachhaltig und umfassend für alle Tiere zu verbessern und die Transparenz für die VerbraucherInnen zu erhöhen.

Das Gesamtvorhaben einer solchen zukunftsorientierten Tierhaltung umfasst für das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) vier zentrale Bausteine:
• eine verbindliche Tierhaltungskennzeichnung,
• ein Förderkonzept für den Umbau der Ställe einschließlich einer langfristigen Perspektive für die Betriebe,
• bessere Regelungen im Tierschutzrecht und
• Anpassungen im Bau- und Genehmigungsrecht.

Das Tierhaltungskennzeichnungsgesetz (TierHaltKennzG) als erster Schritt schafft die rechtliche Verpflichtung zur Kennzeichnung von Lebensmitteln tierischer Herkunft mit der Haltungsform der Tiere. Der von Bundesminister Cem Özdemir vorgelegte Entwurf des Gesetzes wurde am 15. Dezember 2022 im Bundestag in seiner ersten Lesung debattiert. Das Gesetz regelt die damit in Zusammenhang stehenden Pflichten der MarktteilnehmerInnen auf den verschiedenen Ebenen, also der LandwirtInnen und derjenigen, die das Lebensmittel vermarkten. Geplant ist die Kennzeichnung nach fünf Haltungsformen, sie beginnt mit dem Produkt unverarbeitetes Schweinefleisch. Weitere Verarbeitungsformen, Vertriebswege und Tierarten sollen folgen.
Für alle Lebensmittel tierischer Herkunft, für die eine Kennzeichnung verpflichtend eingeführt wird, gilt: Sie sind beim Verkauf an die EndverbraucherInnen mit einer Angabe über die Haltungsform der Tiere zu kennzeichnen. Die Kennzeichnung informiert darüber, in welcher Haltungsform die Tiere gehalten wurden.
Im Wesentlichen bedeutet dies:

• Lebensmittel müssen verpflichtend gekennzeichnet werden, wenn die Tiere in Deutschland gehalten wurden und die Lebensmittel in Deutschland an EndverbraucherInnen verkauft werden.
• Es werden alle Formen der Abgabe von Lebensmitteln tierischen Ursprungs an die VerbraucherInnen erfasst, u. a. Einzelhandel, Bedientheke, Onlinehandel, Wochenmarkt.
• Maßgeblich für die Kennzeichnung ist die Haltungsform der Tiere während des produktiven Lebensabschnittes, bei Fleisch die Mast.

Folgende fünf Haltungsformen werden gekennzeichnet:
• Haltungsform Stall
• Haltungsform Stall und Platz
• Haltungsform Frischluftstall
• Haltungsform Auslauf/Freiland
• Haltungsform Bio

Anreize setzen und Investitionen für gute Haltungsbedingungen fördern
Nachdem die Voraussetzungen für ein Bundesprogramm zur Förderung des Umbaus der Tierhaltung im Bundeshaushalt geschaffen wurden, sollen im weiteren Schritt die Eckpunkte zur Ausgestaltung des Programms etabliert werden. Denn das Gesamtvorhaben zukunftsfeste Tierhaltung umfasst neben der verbindlichen Tierhaltungskennzeichnung, wie oben bereits genannt, drei weitere zentrale Bausteine: Anpassungen im Bau- und Genehmigungsrecht, ein Förderkonzept für den Umbau hin zu tiergerechteren Ställen und bessere Regelungen im Tierschutzrecht. Wie im Koalitionsvertrag vereinbart, sollen dabei Lücken in der Nutztierhaltungsverordnung geschlossen werden. Zeitnah sollen insbesondere wesentliche Mindestanforderungen an das Halten von Mastputen festlegt werden, mit denen eine tiergerechte Haltung, Pflege und Fütterung der Tiere sichergestellt werden kann. Für Mastputen existieren solche Regelungen bislang weder auf EU-Ebene noch national.

Mit dem erforderlichen Umbau der Tierhaltung wird für LandwirtInnen eine verlässliche Perspektive geschaffen. Die Anschubfinanzierung hierfür umfasst eine Milliarde Euro. Zum Gesetzesentwurf der Bundesregierung gelangen Sie hier: https://dserver.bundestag.de/btd/20/048/2004822.pdf

Merkmale der 5 Haltungsformen bei Schweinefleisch
• Haltungsform Stall: Die Haltung während der Mast erfolgt entsprechend der gesetzlichen Mindestanforderungen.
• Haltungsform Stall+Platz: Den Schweinen steht mindestens 20 % mehr Platz im Vergleich zum gesetzlichen Mindeststandard zur Verfügung. Die Buchten sind durch verschiedene Maßnahmen strukturiert. Dies können z. B. Trennwände, unterschiedliche Ebenen, verschiedene Temperatur- oder Lichtbereiche sein.
• Haltungsform Frischluftstall: Den Schweinen wird innerhalb des Stalls ein dauerhafter Kontakt zum Außenklima ermöglicht. Dies wird erreicht, indem mindestens eine Seite des Stalls offen ist, so dass die Tiere Umwelteindrücke wie Sonne, Wind und Regen wahrnehmen können. Zudem steht ihnen mindestens 46 % mehr Platz im Vergleich zum gesetzlichen Mindeststandard zur Verfügung.
• Haltungsform Auslauf/Freiland: Den Schweinen steht ganztägig, mindestens jedoch acht Stunden pro Tag, ein Auslauf zur Verfügung bzw. sie werden in diesem Zeitraum im Freien ohne festes Stallgebäude gehalten. Zudem steht ihnen mindestens 86 % mehr Platz im Vergleich zum gesetzlichen Mindeststandard zur Verfügung.
• Haltungsform Bio: Die Lebensmittel wurden nach den Anforderungen der EU-Ökoverordnung (EU) 2018/848 erzeugt. Das bedeutet für die Tiere eine noch größere Auslauffläche und noch mehr Platz im Stall gegenüber den anderen Haltungsformen

Quellen:
• Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL): Zukunftsfeste Tierhaltung: Eckpunkte zur Einführung einer verpflichtenden staatlichen Tierhaltungskennzeichnung. URL: eckpunkte-tierhaltungskennzeichnung.pdf (bmel.de). Pressemeldung vom 07.06.2022
• Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL): BMEL legt Eckpunkte des Bundesprogramms zum Umbau der Tierhaltung vor – Grundlagen zur finanziellen Förderung von Landwirtinnen und Landwirte stehen. Pressemeldung vom 21.12.22
• Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL): Mehr Tierschutz für Mastputen: BMEL legt Eckpunkte zu Mindestanforderungen an Haltung vor. Pressemeldung vom 29.12.22

Der Bundesverband Verbraucherzentrale (vzbv) begrüßt das Vorhaben der Bundesregierung, mit dem Tierhaltungskennzeichnungsgesetz (TierhaltKennzG) eine verbindliche Haltungskennzeichnung zu etablieren. Gleichzeitig hat der vzbv Bedenken hinsichtlich der Ausgestaltung des Vorhabens.
Der vzbv fordert unter anderem:
• Für den Umbau der Tierhaltung braucht es einen verbindlichen Zeitplan. Dieser sollte Teil des Gesetzesvorhabens sein.
• Die Haltungskennzeichnung sollte zügig um weitere Kriterien erweitert und auf den gesamten Lebenszyklus der Tiere sowie weitere Tierarten ausgeweitet werden, um einen flächendeckenden Umbau der Tierhaltung voran zu bringen.
• Die flächendeckende und funktionierende Überwachung der Anforderungen, die sich aus dem Gesetzesentwurf ergeben, muss sichergestellt werden.

Quelle: Verbraucherzentrale Bundesverband: Nachbesserungen am Tierhaltungskennzeichnungsgesetz nötig. Pressemeldung vom 15.12.2022. URL: https://www.vzbv.de/publikationen/nachbesserungen-am-tierhaltungskennzeichnungsgesetz-noetig

Das könnte Sie interessieren
Pflanzliche Speisefette und –öle. Teil 4: Palmöl weiter
Die Rolle der Ernährungstherapie in der Behandlung von Essstörungen weiter
Alternative Ernährungsformen weiter
MEDPass oder herkömmliche Verabreichung von oraler Nahrungssupplementation weiter
Diagnose-Tool für Schluckstörungen bei älteren Patient*innen: Vergleichsstudie belegt hohe... weiter
Mehr Schein als Sein: Nahrungsergänzungsmittel „made in Germany“ weiter