© metamorworks/iStock/Getty Images Plus
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peb-Kongress 2019: Digitalisierung mitdenken, nicht abtun

  • 28.02.2019
  • News
  • Sabine Schmidt

„Digitale Medien sind mächtige Verstärker – allerdings nicht per se in eine bestimmte Richtung." Diesen Satz von Jörn Muuß-Merholz auf dem diesjährigen peb-Kongress zum Thema „Gesund aufwachsen in einer digitalen Welt" am 20.02. in Berlin sollten sich Fachkräfte der Gesundheitsförderung wie auch Ernährungsfachkräfte merken.

Im Klartext: Wer analog gerne zuhause auf dem Sofa chillt, kann das mit Smartphone noch viel länger. Wer gerne schon ausgiebig Sport getrieben hat, kann sich mit Tracking- und Fitness-Apps noch mehr pushen, wer ausführlich mit FreundInnen plauderte oder Postkarten verschickte, kann sich nun mit noch viel mehr Menschen und ortsunabhängig austauschen. Digitalisierung lässt sich dem Medienpädagoge zufolge daher nicht per se als „gut“ oder „schlecht“ einordnen, auch nicht für Kinder und Jugendliche. Sie ist aber, wie die anwesenden ExpertInnen betonten, auch nicht neutral – im Sinne von ohne Auswirkung. Im Gegenteil, Digitalisierung ist und wird noch mehr ein Teil von allem. Dies hat vielfältige Auswirkungen in allen Bereichen des Lebens, von der Arbeitswelt über die Freizeit, in Gesundheit, Bildung und Wohnwelt ebenso wie in sozialen Beziehungen. Digitalisierung muss daher zukünftig von allen bei allem mitgedacht werden.

Die Entwicklung ist dabei noch lange nicht zu Ende, im Gegenteil, sie wird noch viel weiter gehen, wie Trendforscher Prof. Peter Wippermann aus Hamburg feststellte. Wie und wohin technologischer und sozialer Wandel noch gehen, lässt sich allenfalls ahnen oder prognostizieren. Einige interessante Entwicklungen stellte Wippermann vor: Social Reality (das „echte“ Leben) wird durch Virtual Reality ergänzt in dem Sinne, dass sich die Menschen nicht mehr entweder auf die virtuelle oder die „echte“ Welt konzentrieren, sondern in beiden unterwegs sein werden. Beide vermischen sich auch im „Internet of Things“, der Verbindung zwischen digitaler und echter Welt, z. B. in Form von selbstfahrenden Autos und dem Einsatz von (Mikro-)Robotern im Alltag.

Aufgrund der sich rasant etablierenden neuen Technologien und weil auch die bisherige Entwicklung so schnell voranschreitet, dass wir mit Bildungskonzepten kaum hinterherkommen (Unterrichtseinheiten zu Facebook bspw. treffen auf Jugendliche, die nur noch auf Instagram unterwegs sind), sind wir gesamtgesellschaftlich erst in einer Art „Pubertät“ des Umgangs mit Digitalisierung, wie Muuß-Merholz es treffend formulierte. Da wir nicht absehen können, wie sich die digital-reale Zukunft gestalten wird, müssen die Gesellschaft und alle Mitglieder – vergleichbar Jugendlichen in der Adoleszenz – nach und nach lernen, mit den Veränderungen umzugehen.

Für gesundheitliche Belange, u. a. im Zusammenhang mit der Nutzung digitaler Medien, gibt es dabei sowohl Risiken (langes Sitzen, Kurzsichtigkeit, Suchtgefahr …) als auch positive Impulse (Fitnesstrend: sehr stark über YouTube, Selftracking-Trend/Gesundheitsbewusstsein). Die digitale Welt ist daher nicht als Fluch oder Segen für unsere Gesundheit und die soziale Gemeinschaft zu vereinfachen, sondern sie ist Fluch UND Segen zugleich, so Muuß-Merholz. Mit beidem, Risiken und Chancen der digitalen Transformation, müssen wir uns beschäftigen und Kinder und Jugendliche begleiten und anleiten. Das ist schwierig, weil Erwachsene als „Digital Immigrants“ und durch die rasend schnelle Entwicklung inhaltlich oft eher weniger gut Bescheid wissen als Jugendliche. Zudem gibt es noch gar nicht genug Daten dazu, welche und wie viel Nutzung digitaler Medien akzeptabel, nötig, unvermeidbar oder eben riskant für Kinder, Jugendliche und auch Erwachsene ist.

Was ist also zu tun? Erwachsene, MultiplikatorInnen, LehrerInnen, die Politik müssen sich schnell und umfassend mit digitalen Entwicklungen beschäftigen, diese und ihre Wirkungen auf Menschen untersuchen und Bildungskonzepte für Kinder und Jugendliche für den Umgang mit Internet, Social Media, Virtual Reality etc. entwickeln, um den sozialen Zusammenhalt und unsere Gesundheit zu schützen.

Nicht zielführend ist es, so konstatierte Prof. Nicola Döring von der TU Ilmenau – weder bei Eltern noch bei Influencern – eine „kritische Distanz“ zu wahren, d. h. die Mediennutzung von Kindern und Jugendlichen undifferenziert als „Gedaddel“ abzuwerten, ohne „einzusteigen“ in das, was in digitalen Medien eigentlich alles passiert. Sie sieht ein Problem darin, dass die Schwierigkeiten von Menschen, mit den Herausforderungen der heutigen Gesellschaft fertig zu werden, zu viel nur in den Bereich Digitalisierung projiziert werden. So geschieht es häufig mit Problemen, die auch schon vor dem „digitalen Klimawandel“ vorhanden waren: der bequeme Lebensstil in westlichen Gesellschaften, das Auseinandergehen der sozialen Schere mit dem Abgehängtsein ganzer Milieus und nicht zuletzt der Generationenkonflikt. Neue, Angst machende technologische Entwicklungen für die Probleme zwischen Erwachsenen und Jugendlichen verantwortlich zu machen ist kein neues Phänomen: Muuß-Merholz stellte dies anschaulich am Beispiel eines erziehungswissenschaftlichen Aufsatzes aus dem Jahr 1859 gegen die schädlichen Einflüsse der neuen „Bücher-Lesesucht“ bei jungen Menschen dar, die diese krank mache und sich, statt auf Bildungsinteresse, auf „triviale Geschichten“ ohne Bildungsinhalte richte.

Die dringende Empfehlung der ExpertInnen am Ende des Tages lautete daher: Ob Gesundheitsfördernde, LehrerInnen oder PolitikerInnen: die digitalen Entwicklungen und das große Interesse der Jugend daran weder verteufeln noch naiv idealisieren. Vielmehr befinden wir uns alle in einem dringend voranzutreibenden Prozess, zu lernen, mit dem umzugehen, was wir momentan absehen können und uns auf das einzurichten, was noch kommen mag.

Tipp: Interessieren Sie sich für digitale Entwicklungen im Ernährungsbereich? Dann kommen Sie zur 3. Tagung der Ernährungs Umschau am 25.10.2019 zum Thema „Ernährungsfachkraft 4.0 – erfolgreich OMline“.

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