Sowohl im Ganzen, als auch als Lebensmittelinhaltsstoff: Die Thematik der Nahrungsmittelallergie gegen Insekten ist relativ neu und vielen unbekannt. © stockphototrends / iStock / Thinkstock
Sowohl im Ganzen, als auch als Lebensmittelinhaltsstoff: Die Thematik der Nahrungsmittelallergie gegen Insekten ist relativ neu und vielen unbekannt. © stockphototrends / iStock / Thinkstock

Interview: Allergiepotenzial von essbaren Insekten sollte nicht unterschätzt werden

Vielen Garnelenallergikern und Allergologen ist die Möglichkeit einer allergischen Kreuzreaktion gegen Insekten vermutlich bislang nicht bekannt. © Seremin / iStock / Thinkstock
Vielen Garnelenallergikern und Allergologen ist die Möglichkeit einer allergischen Kreuzreaktion gegen Insekten vermutlich bislang nicht bekannt. © Seremin / iStock / Thinkstock

Welche Allergene wurden bisher näher charakterisiert?

Holzhauser: Als Allergene wurden bislang vor allem Tropomyosin, ein Muskelprotein, sowie Arginin Kinase, ein Enzym, beschrieben. Bei beiden Allergenen handelt es sich um potentiell kreuzreaktive, sogenannte Pan-Allergene, die in verschiedenen Arthropodenspezies mit relativ großer struktureller Ähnlichkeit vorkommen. Weitere Nahrungsmittelallergene sind aufgrund der Verwandschaft zu anderen essbaren und allergenen Arthropoden sehr wahrscheinlich.


Mit der neuen "Novel Food-Verordnung (EU) 2015/2283" ändert sich das Genehmigungsverfahren sowohl für ganze Tiere als auch Teile von Insekten in der Europäischen Union. Was bedeutet dies für die Herstellung von Lebensmitteln- und Inhaltsstoffen aus Insekten – auch in Hinblick auf das allergene Potenzial dieser Lebensmittel?

Holzhauser: Mit der neuen Novel Food Verordnung, die seit 1. Januar 2018 gilt, werden Insekten nun generell als neuartige Lebensmittel in der Europäischen Union definiert. Dies gilt unabhängig davon, ob es sich um ganze Insekten handelt oder daraus gewonnene Fraktionen oder Inhaltsstoffe, wie beispielsweise Proteinisolate, Öl- beziehungsweise Fettfraktionen oder Polysaccharide, also langkettige und teils komplexe Kohlenhydrate.

Auch mit Blick auf die Akzeptanz von Insekten als Lebensmittel – Stichwort Vermeidung des Ekelfaktors – ist zu vermuten, dass die Gewinnung einzelner Fraktionen oder Inhaltsstoffe, die vielseitig in komplexen Lebensmitteln eingesetzt werden können, von Interesse ist. Die Herstellung von Lebensmitteln und Lebensmittelinhaltsstoffen aus Insekten kann vielseitig sein, weshalb einfache generelle Vorhersagen zur Allergenität nicht möglich sind. Auf Basis der Allergenität der uns vertrauten Lebensmittel lassen sich jedoch vergleichende Überlegungen mit Blick auf die Allergenität von Lebensmittel aus Insekten anstreben. So lässt sich durch Erhitzung von Lebensmitteln die Allergenität häufig reduzieren, aber in vielen Fällen nicht vollständig eliminieren. Von Tropomyosin als ein Hauptallergen in Garnelen ist bekannt, dass es recht hitzestabil ist. Mit anderen Worten: Diese Allergenität lässt sich nicht wegkochen. So werden allergische Reaktionen gegen Garnelen oftmals gegen gekochte Garnelen beschrieben. Dies bedeutet, dass zumindest für einen Teil der Allergiker auch nach Erhitzung von Insekten von einem relevanten allergenen Potenzial auszugehen ist.


Welche Möglichkeiten gibt es noch, um das allergene Potenzial zu senken?

Holzhauser: Da die Allergene zur Stoffklasse der Proteine gehören, kann eine Fraktionierung von Inhaltstoffen, bei der der Protein- und damit Allergengehalt abgereichert wird, zu einer Reduzierung der Allergenität führen. Die Gewinnung von hochraffinierten Ölen beispielsweise, wie man dies etwa von vollständig raffiniertem Sojabohnenöl kennt, führt zu einer starken Abreicherung des Proteinanteils, so dass hierdurch das Risiko für allergische Reaktion bei entsprechend Sensibilisierten deutlich gesenkt wird. So wurde vollständig raffiniertes Sojabohnenöl in der Europäischen Union von der Deklarationspflicht für allergene Lebensmittel befreit, um unnötige dietätische Einschränkungen von Sojabohnenallergikern zu vermeiden. Dies geschah jedoch nach umfangreichen klinischen und chemisch-analytischen Untersuchungen und der anschließenden Bewertung der hieraus gewonnen Daten und Erkenntnisse durch die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit EFSA. Folglich lassen sich über Art und Umfang der Veränderung der Allergenität in Abhängigkeit der Herstellung von Lebensmitteln, auch aus Insekten, keine generell gültigen Schlüsse ableiten. Vielmehr müsste die Veränderung der Allergenität durch die Herstellung von Lebensmitteln und Lebensmittelinhaltsstoffen aus Insekten im Einzelfall untersucht werden.


Wie können sich Allergiker schützen?

Holzhauser: Derzeit gibt es in der klinischen Routine keine kausale Therapieoption bei Nahrungsmittelallergie. Dies schließt natürlich eine Nahrungsmittelallergie gegen Insekten ein. Deshalb sollten Betroffene das betreffende Allergen meiden, um ungewollte allergische Reaktionen auszuschließen. Die Thematik der Nahrungsmittelallergie gegen Insekten ist relativ neu und deshalb weitgehend unbekannt. Vermutlich ist vielen Garnelenallergikern und eventuell auch Allergologen die Möglichkeit einer allergischen Kreuzreaktion gegen Insekten bislang nicht bekannt. Aufklärung und Information im Sinne einer Risikokommunikation sind hier wichtige Maßnahmen.


Sollte es dafür nicht eine verpflichtende Allergenkennzeichnung von Lebensmitteln aus Insekten geben?

Holzhauser: Das wäre wünschenswert, so wie es bereits bei Garnelen als Zutat eines Lebensmittels in der Europäischen Union verpflichtend ist. Dadurch können sich Allergiker über die allergenen Zutaten eines Lebensmittels informieren und eine sichere Wahl treffen. Zusätzlich ist das Problem einer sogenannten Kreuzkontamination, also eines ungewollten Eintrags von nicht deklarierten Insektenanteilen bei der Produktion, auf gemeinsamen Herstellungsanlagen zu berücksichtigen. Darüber sollten die Lebensmittelhersteller durch geeignete Hinweise wie "kann Insekten enthalten" informieren, soweit die Kreuzkontamination technisch unvermeidbar bleibt. Erfahrungswerte hierzu gibt es bereits durch den Umgang mit schon heute deklarationspflichtigen allergenen Lebensmittelzutaten, wie zum Beispiel Nüssen. Somit stehen derzeit Risikoanalyse, Risikomanagement- und Kommunikation seitens der Lebensmittelherstellung im Vordergrund. Spezifische analytische Verfahren können den Lebensmittelherstellern helfen, allergene Kreuzkontaminationen während der Herstellung zu identifizieren und die Wirksamkeit geeigneter Reduzierungsmaßnahmen zu überprüfen.

Zur Person
Thomas Holzhauser. © privat
Thomas Holzhauser. © privat

Priv.-Doz. Dr. Thomas Holzhauser ist Diplom- und staatlich geprüfter Lebensmittelchemiker. Er leitet im Paul-Ehrlich-Institut, Bundesinstitut für Impfstoffe und biomedizinische Arzneimittel in Langen, das Fachgebiet Rekombinante Allergentherapeutika, das für die Qualitätsbewertung von rekombinanten und synthetischen Allergentherapeutika zuständig ist. Als im Arzneimittelbereich tätige Bundesoberbehörde prüft und bewertet das Paul-Ehrlich-Institut Nutzen und Risiko biomedizinischer Human-Arzneimittel und immunologischer Tier-Arzneimittel im Rahmen der klinischen Entwicklung, Zulassung und danach. Im Rahmen seiner zurückliegenden und aktuellen Forschung wurden unter anderem allergenspezifische Nachweismethoden entwickelt sowie Allergene, beispielsweise aus Garnelen, identifiziert und charakterisiert. Die Ergebnisse wurden in zahlreichen Beiträgen wissenschaftlich publiziert. Dr. Holzhauser ist aktives Mitglied in der EU COST-Action ImpARAS (1402) zur Verbesserung von Strategien zur Risikobewertung neuer allergener Lebensmittelproteine. Dr. Holzhauser ist als Privatdozent an der Lehre der Justus-Liebig-Universität Giessen im Fachbereich Biologie und Chemie beteiligt.

Das könnte Sie interessieren
© Irina_Strelnikova/iStock/Getty Images Plus
„Mehr Tempo bei der Regulierung wäre gut!“ weiter
Wegweiser dringend gesucht! weiter
Verhaltensinterventionen im Wandel: Status Quo und zukünftige Möglichkeiten weiter
Allergieprävention im ersten Lebensjahr: Fallbeispiele aus der Ernährungstherapie weiter
„Der individuelle Ernährungsstil trägt entscheidend dazu bei, ob Depressionen neu... weiter
© by-studio/iStock/Getty Images Plus
Können wir eine Depression auch mit Ernährung beeinflussen? weiter