Die Mediennutzung ist seit Beginn der Corona-Pandemie bei 70 % der 3- bis 17-Jährigen angestiegen © Kerkez/iStock/Getty Images Plus

Online News: Ernährungspolitik: BMEL plant mehr Kinderschutz in der Lebensmittelwerbung

  • 02.03.2023
  • News
  • Anna Sidorenko

15 Werbespots für Lebensmittel mit hohem Zucker-, Fett- oder Salzgehalt sehen Kinder, die Medien nutzen, durchschnittlich jeden Tag. Auch der größte Teil der in Tik Tok oder Instagram beworbenen Lebensmittel für Kinder sind zucker-, fett- oder salzreich. Um Kinder dem Einfluss von Werbung für ungesunde Lebensmittel nicht länger ungeschützt auszusetzen, plant das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft unter Minister Cem Özdemir nun, direkt an Kinder gerichtete Werbung für solche Lebensmittel gesetzlich zu regeln.

Die präventiven Maßnahmen des Ministeriums haben zum Ziel, die Kindergesundheit zu fördern und die steigende Prävalenz von z. B. Adipositas und Diabetes bei Kindern zu senken. Bisherige freiwillige Selbstverpflichtungen und Branchenregeln für an Kinder gerichtete Werbung haben sich als nicht effektiv herausgestellt.
Rund 15 % der Drei- bis Siebzehnjährigen in Deutschland sind übergewichtig, darunter knapp 6 % adipös. Aktuelle Daten weisen darauf hin, dass sich die Situation seit der Corona-Pandemie verschlechtert hat. Seit Beginn der Pandemie ist zudem die Mediennutzung bei 70 % der 3- bis 17-Jährigen angestiegen. Durchschnittlich 15 Werbespots für Lebensmittel mit hohem Zucker-, Fett- oder Salzgehalt sehen Kinder, die Medien (Internet und Fernsehen) nutzen, täglich. Etwa 92 % der Lebensmittelwerbung ist für Produkte wie Fast Food, Snacks oder Süßigkeiten. Eine zunehmende Bedeutung kommt dabei auch dem Influencermarketing in den sozialen Medien zu. Gemäß einer Studie der Medizinischen Universität Wien dürften 75 % der durch Influencer auf verschiedenen Social-Media-Kanälen vermarkteten Lebensmittel laut Weltgesundheitsorganisation (WHO) aufgrund ihres hohen Zucker-, Fett- oder Salzgehaltes nicht gegenüber Kindern und Jugendlichen beworben werden, da sie gegen die Werbestandards der WHO für Kinder verstoßen [1]. Um Kinder als besonders verletzliche Verbrauchergruppe vor negativen Werbeeinflüssen in allen relevanten Medien zu schützen, soll sich mit dem in der Koalition vereinbarten Vorhaben Werbung für Lebensmittel mit hohem Zucker-, Fett- oder Salzgehalt nicht mehr direkt an Kinder richten dürfen. Als Kinder werden demnach alle unter 14-Jährigen definiert. Das Gesetzesvorhaben umfasst alle für Kinder relevanten Medien, darunter auch das Influencermarketing.

Folgendes soll durch die Regelung nicht mehr zulässig sein:

• An Kinder gerichtete Werbung für Lebensmittel mit hohem Zucker-, Fett- oder Salzgehalt in allen für Kinder relevanten Medien sowie an Kinder gerichtete Außenwerbung für Lebensmittel mit hohem Zucker-, Fett- oder Salzgehalt.

• Aufgrund des Werbeumfeldes oder des sonstigen Kontextes an Kinder gerichtete Werbung für Lebensmittel mit hohem Zucker-, Fett- oder Salzgehalt,

  • wenn sie zwischen 6 und 23 Uhr betrieben und damit bewusst in Kauf genommen wird, dass sie regelmäßig insbesondere auch von Kindern wahrgenommen wird bzw. wahrgenommen werden kann,
  • wenn sie im Kontext mit auch Kinder ansprechenden Inhalten betrieben wird,
  • wenn sie in Form von Außenwerbung im Umkreis von 100 Metern zu Schulen, Kindertageseinrichtungen, Spielplätzen oder Freizeiteinrichtungen betrieben wird.

• An Kinder gerichtetes Sponsoring für Lebensmittel mit hohem Zucker-, Fett- oder Salzgehalt.

Die Beurteilung eines hohen Zucker-, Fett- oder Salzgehaltes soll sich an den Anforderungen des Nährwertprofilmodells der Weltgesundheitsorganisation (WHO), Regionalbüro für Europa [2], orientieren. Diesen Vorgaben nach ist z. B. an Kinder gerichtete Werbung für Schokoladenwaren, andere Süßigkeiten, Eiscreme und Energy Drinks nicht erlaubt. Getränke dürfen für Kinder nur beworben werden, wenn sie keinerlei Zucker, Zuckerersatzstoffe oder Süßstoffe enthalten, Milchgetränke dürfen keinen zugesetzten Zucker enthalten. Frühstückscerealien müssen unter 10 g Fett und unter 15 g Zucker pro 100 g enthalten, Jogurts unter 2,5 g Fett und 10 g Zucker pro 100 g, um beworben werden zu dürfen.

Lesen Sie hierzu auch unsere vertiefenden Beiträge zum Thema Kindermarketing und zur Historie der freiwilligen Selbstverpflichtung in Bezug auf Kinderlebensmittel sowie zu Ethik und Lebensmittelmarketing. Ohne Abonnement ist der Beitrag „Instrumente der Ernährungspolitik Ein Forschungsüberblick“ – Teil 1 und Teil 2 zugänglich.


Literatur:
1. Medizinischen Universität Wien: Promotion of Food & Beverages by German-speaking Influencers Popular with Adolescents on TikTok, Instagram, and YouTube, Winzer E., Naderer B., Klein S., Lercher L., Wakolbinger M. (2022)
2. WHO Regional Office for Europe: WHO Regional Office for Europe Nutrient Profile Model. URL: https://www.euro.who.int/__data/assets/pdf_file/0005/270716/Nutrient-children_web-new.pdf

Quellen:
- Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL): Mehr Kinderschutz in der Werbung: Pläne für klare Regeln zu an Kinder gerichteter Lebensmittelwerbung. Presseeinladung vom 27.02.2023
- Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL): Bundesminister Özdemir stellt Vorhaben für mehr Kinderschutz in der Werbung vor. Presseinladung vom 27.02.2023
- Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL): Özdemir stellt Gesetzesvorhaben für mehr Kinderschutz in der Werbung vor. Pressemeldung vom 27.02.2023

Presse-Statement von Food Watch
Zu den von Bundesernährungsminister Cem Özdemir vorgestellten Plänen für eine Beschränkung der an Kinder gerichteten Lebensmittelwerbung erklärt Luise Molling von der Verbraucherorganisation foodwatch: „Die heute auf den Weg gebrachten Werbeschranken für ungesunde Lebensmittel sind ein Meilenstein im Kampf gegen Fehlernährung und Übergewicht. Ernährungsminister Cem Özdemir macht endlich Schluss mit dem von der Bundesregierung jahrelang vorgelebten, erfolgslosen Prinzip der Freiwilligkeit.“
Das vollständige Statement von Food-Watch können Sie in der Pressemeldung lesen.
Quelle: Food Watch: Presse-Statement zu Werbeschranken für ungesunde Lebensmittel: "Ein Meilenstein im Kampf gegen Fehlernährung". Pressmeldung vom 27.02.2023

Presse-Statement der Deutschen Adipositas-Gesellschaft (DAG)
Oliver Huizinga, Politischer Geschäftsführer der Deutschen Adipositas-Gesellschaft (DAG) nimmt Stellung zu den von Bundesernährungsminister Cem Özdemir vorgestellten Plänen zur Beschränkung der Lebensmittelwerbung: „Minister Özdemir ist ein großer Wurf gelungen. Kinder sollen künftig umfassend vor Werbung für Ungesundes geschützt werden mit dem anerkannten WHO-Modell als Grundlage. Das ist konsequent und folgerichtig. Adipositas bei Kindern stellt ein zentrales Gesundheitsproblem dar und die Werbung für Ungesundes ist dafür ein wichtiger Faktor. Nicht ohne Grund zählt die WHO die Beschränkung der Werbung zu den prioritären Maßnahmen gegen Adipositas – neben der Besteuerung von Zuckergetränken und einem verbesserten Zugang zur Adipositas-Therapie. Die Koalitionspartner sollten die Pläne des Ministers unbedingt unterstützen, auch wenn Gegenwind zu erwarten ist. Die Interessen der Werbeindustrie, der Lebensmittelindustrie und der privaten Fernsehsender müssen hintenanstehen. Der Staat schuldet Kindern nach der UN-Kinderrechtskonvention das ‚erreichbare Höchstmaß an Gesundheit‘ aber nicht der Werbeindustrie das erreichbare Höchstmaß an Einnahmen durch Junkfood-Werbung. Wer die Pläne Özdemirs aufweichen will, stellt sich gegen die Kindergesundheit.“
Quelle: Deutschen Adipositas-Gesellschaft (DAG), Pressemeldung vom 27.02.2023

 

 

 

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