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Fischgehege in der Norwegischen See. © Evgeny Sergeev / iStock / Thinkstock

Interview: „Die Aquakultur steht zu Unrecht in der Kritik"

© Dr. Bernd Ueberschär
Versuchskreislaufanlage im GMA in Büsum. © Dr. Bernd Ueberschär

Was spricht gegen Fisch aus Aquakultur?

Ueberschär: Grundsätzlich spricht nichts gegen Fisch aus Aquakultur. Da es „die Aquakultur" ebenso wenig gibt wie „die Landtierzucht", ist es wichtig zu differenzieren. Die Aquakultur steht leider oft zu Unrecht in der Kritik. In der Landtierzucht weiß der Verbraucher meist deutlich besser zu unterscheiden: Wenn es einen Fleischskandal gegeben hat, werden Produkte vom Hersteller X aus der Region Y beziehungsweise die entsprechenden Tierarten erst einmal gemieden. Trotzdem werden weiterhin Fleischprodukte aus anderen Quellen konsumiert.

Wird dagegen über ein Problem mit einer bestimmten Form der Aquakultur berichtet, so mein Eindruck, werden häufig die gesamte Aquakulturbranche und sämtliche Fischarten gemieden. Fisch aus Aquakultur kann so insgesamt in Verruf geraten. Dies wird der Vielfältigkeit der Produktionsformen und Arten nicht gerecht und der Konsument sollte lernen zu unterscheiden.


Wie ist das gemeint?

Ueberschär: Vergleicht man die generellen Produktionsbedingungen für Landtiere und für Fische, so ist aus meiner Sicht die Fischproduktion die aus ethischen Gründen eher vertretbare Produktionsform, einmal abgesehen von den Produktionsbedingungen auf Biobauernhöfen. Für eine Regenbogenforelle beispielsweise macht es nicht viel Unterschied, ob sie an einer Position in einem Fluss verharrt oder in einer künstlichen Fließrinne. Wenn dagegen die Milchkuh ihr Leben in einer engen Box im Stall verbringt, anstatt freilaufend auf den Wiesen, dann macht das für mich, und natürlich auch für die Kuh, einen Unterschied.

Woher kommen Ihrer Ansicht nach die Vorurteile gegen die Aquakultur?

Ueberschär: Die Vorurteile entstehen nicht selten aus mangelnder Sachkenntnis. Ein Grund, weshalb die Aquakultur jedoch aus meiner Sicht deutlich mehr unter Beobachtung steht als die Landtierproduktion, ist die Tatsache, dass dies in Europa, mal abgesehen von den Karpfenteichen der Mönche, eine relativ junge Form der Nahrungsproduktion ist. Sie wurde von Anfang an von einem gewissen Misstrauen begleitet – bedingt durch einige fatale Fehler in den Gründerjahren mit einer intensiveren Produktion.


Was für Fehler meinen Sie?

Ueberschär: Zum Beispiel den hohe Antibiotika-Einsatz in der Aquakultur, der vor allem die norwegischen Lachszüchter in den 80er Jahren und zu Beginn 90er Jahre in Verruf gebracht hat. Dies ist aber glücklicherweise Geschichte. In den 80er Jahren wurde noch etwa ein Kilogramm Antibiotikum pro Tonne Lachs eingesetzt, heute liegt diese Menge deutlich unter einem Gramm! Möglich wurde dies durch Immunisierung der juvenilen Fische, die sie effizient vor Bakterien- und Viruserkrankungen schützt, und durch den Einsatz von Probiotika. 

Leider spukt die Antibiotika-Problematik aber immer noch im Kopf vieler Menschen herum. Das ist ein Hinweis darauf, wie wichtig eine dauerhaft vertretbare und transparente Aquakultur ist, um den Konsumenten als Kunden nicht zu verlieren.


Werden noch andere Maßnahmen getroffen?

Ueberschär: Neben der erfolgreichen Einführung der Impftechniken wurde viel getan, um dem Tierwohl mehr zu entsprechen. Unter anderem wurden die Besatzdichten in den Netzgehegen deutlich verringert. Meist schwimmen darin pro Kubikmeter Wasser fünf Fische durchschnittlicher Größe, obwohl mehr möglich wären. Dies verringert auch das Übertragungsrisiko für Krankheiten und Parasiten. Die Lachsläuse beispielsweise bekämpft man heute nicht mehr mit Pestiziden sondern mit Putzerfischen, die mit in die Netzgehege eingesetzt werden.


Ein anderer Kritikpunkt ist oft das Fischmehl im Futter ...

Ueberschär: Fischfuttermittel werden zu einem großen Teil aus Fischmehl und -öl hergestellt, das stimmt. Dafür werden sogenannte Industriefische in großem Umfang gefangen und zu Fischfutter verarbeitet. Millionen Tonnen von Sardellen und Holzmakrelen aus Südamerika, aber auch Sandaale und Blaue Wittlinge wandern jedes Jahr in die Fischmehlfabriken.

Der Grund für den hohen Fischmehlbedarf ist der, dass vor allem in Europa vorwiegend Raubfische in der Aquakultur gezüchtet werden, die mit Futter rein pflanzlichen Ursprungs kaum überleben können oder ein schlechteres Wachstum zeigen. Diese Fischveredelung wird auch als Fish in, fish out bezeichnet und bringt natürlich einen Verlust an Biomasse mit sich. Pro Kilogramm Zuchtfisch werden im Mittel ein bis drei Kilogramm Fischfutter aus Fischmehl gebraucht. Für ein Kilo Fischmehl werden etwa fünf Kilogramm Frischfisch verwendet. Fische sind jedoch deutlich bessere Futterverwerter als Landtiere. Sie können bereits mit einem Futterquotienten von 1,1 produziert werden, während beim Schwein schon 2,9 und beim Rind über sechs Kilogramm Futter für ein Kilo Zuwachs eingesetzt werden müssen.

Der Hauptkritikpunkt hier ist jedoch, dass der für Fischmehl verwendete Fisch lediglich „veredelt" und dem ärmeren Teil der Weltbevölkerung entzogen wird, sofern es sich um Arten handelt, die direkt für den menschlichen Verzehr geeignet sind (wie Sardinen oder Sardellen). Diese Kritik hat durchaus Berechtigung und es gibt inzwischen neue Wege, Fischfutter mit deutlich geringeren Anteilen an Fischmehl und Fischöl herzustellen. In Zukunft soll auch der Beifang aus der Seefischerei eine grössere Rolle für die Futtermittelproduktion spielen. Und in immer größerem Umfang werden zum Beispiel Schlachtabfälle aus der Aquakultur verwertet.

Verzichtet man komplett auf die Beimengung von Fischölen, dann verliert Fisch jedoch seinen hohen Wert als besonders gesundes Lebensmittel und Lieferant für Omega-3 Fettsäuren.


Wie steht es um das Problem der Pestizidbelastung? 

Ueberschär: Zum einen gibt es Endosulfane, Pestizide deren Anwendung in Europa nicht mehr erlaubt ist, die aber beispielsweise in Asien und den USA im Nutzpflanzenanbau noch eingesetzt werden. Durch den immer größer werdenden Anteil pflanzlicher Produkte im Fischfutter steigt auch die Belastung des Futters mit Endosulfanen an. Die Schädlichkeit dieses Pestizids für den Konsumenten von möglicherweise belasteten Produkten aus der Landwirtschaft und Aquakultur ist noch nicht abschließend geklärt.

Die Menge Endosulfan die durch den Verzehr von Fischen aus der Aquakultur aufgenommen werden könnte, ist zumindest bei norwegischem Zuchtlachs nach neuen Untersuchungen der norwegischen Aufsichtsbehörde für Lebensmittelsicherheit als unbedenklich einzustufen. 

Neben dem Endosulfan, das unbeabsichtigt im Fischfutter landet, steht das Pestizid Ethoxyquin in der Kritik. Es wird dem Fischfutter als Konservierungsmittel beigefügt wird. Bis 2011 war die Chemikalie auch als Pflanzenschutzmittel erlaubt. Mangels Daten zu seiner Giftigkeit entzog die EU dem Pestizid die Zulassung. Ethoxyquin wird aber weiterhin als Konservierungsmittel bei der Herstellung von Vieh- und Fischfutter zugesetzt. Es verhindert, dass die teuren Futtermittel auf dem Weg von Südamerika nach Europa schimmeln, ranzig werden oder Vitamine verlieren. 


Wer entscheidet über die weitere Verwendung dieses Stoffes?

Ueberschär: Die Bewertung von Ethoxyquin als Futterzusatzstoff liegt in der Verantwortung der EU-Kommission. Deren Behörde für Lebensmittelsicherheit EFSA (European Food Safety Authority / Anm. d. Red.) liefert die wissenschaftliche Einschätzung dieser Substanz. Die negativen Wirkungen beim Verzehr der damit gefütterten Tiere sind seit langem umstritten. Es wäre wichtig, hier endlich zu einer klaren Entscheidung zu kommen.

Aktuell ist eher keine akute Gefährdung beim Verzehr von Fischprodukten aus der Aquakultur zu erwarten was Pestizide im Endprodukt betrifft. Es sind aber auf jeden Fall Nachbesserungen erforderlich, um den Konsumenten nicht zu verunsichern oder zu verlieren, so wie es im Fall der Antibiotika schon einmal geschehen ist.

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Experte Dr. Bernd Ueberschär empfiehlt pflanzenfressende Fische aus nachhaltiger Aquakultur. Tilapien sind zum Beispiel eine gute Wahl. © KonArt / iStock / Thinkstock

Wie kann der Konsument am sinnvollsten entscheiden, welche Fischarten aus Aquakultur auf seinem Teller landen sollen?

Ueberschär: Fisch sollte bewusster eingekauft und auf die Herkunft geachtet werden sowie ob das Produkt ein Gütesiegel, Label oder Zertifikat trägt. Beispiele sind hier etwa das ASC-Siegel (Aquaculture Stewardship Council / Anm. d. Red.), EU-Biosiegel oder Naturland-Siegel. Ein gutes Zeichen ist, wenn das Produkt wenigstens in Europa produziert wurde, da hier in der Regel gewisse Mindeststandards eingehalten werden.

Bevorzugen Sie, unter Berücksichtigung der genannten Kriterien, vegetarische oder allesfressende Fischarten wie Karpfen, Tilapia und Wels und verzichten Sie ganz auf Aal und Thunfisch aus Aquakultur. Wer nicht viel ausgeben kann oder möchte, für den ist Zuchtlachs aus Norwegen eine gute Wahl. Dieser Fisch ist unter den Aquakulturerzeugnissen ein relativ preiswertes Produkt und lässt sich in vielen Variationen schmackhaft zubereiten.

Das Gespräch für die ERNÄHRUNGS UMSCHAU führte Myrna Apel.



Zur Person

Dr. Bernd Ueberschär, geb. 1955 im Harz, hat Elektrotechnik und Biologie in Berlin studiert. 1980 wechselte er mit Fortsetzung des Biologiestudiums an die Christian-Albrechts-Universität in Kiel. Nach dem Vordiplom studierte Ueberschär am Institut für Meereskunde in Kiel (IFM) die Fächer Meeres- und Fischereibiologie, Meereszoologie und Physikalische Ozeanographie.

Nach dem Diplomabschluss in Meeres- und Fischereibiologie promovierte Ueberschär an der Universität Hamburg zu dem feldökologischen Thema „Kritische Zeiten für Fischlarven". Im Anschluss hat der Experte etwa 25 Jahre am IFM, IFM-GEOMAR bzw. am heutigen GEOMAR in verschiedenen wissenschaftlichen Projekten gearbeitet, überwiegend zum Thema Fischerei- und Meeresbiologie sowie Aquakultur.

Bernd Ueberschär hat an zahlreichen wissenschaftlichen Expeditionen mit Forschungsschiffen teilgenommen. Seit 2013 arbeitet er bei der „Gesellschaft für marine Aquakultur" (GMA) in Büsum und leitet dort die Arbeitsgruppe „Jugendstadien der Fische".

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