Die aktuellen Herausforderungen an das globale Ernährungssystem erfordern gesellschaftliche Anstrengungen und politisches Handeln. © titami29/iStock/Getty Images Plus

Im Heft 1: Ernährungspolitik: Herausforderungen unseres Ernährungssystems

  • 28.02.2022
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  • Redaktion

Das globale Ernährungssystem versucht ein Viertel der weltweiten Treibhausgasemissionen und ist hauptverantwortlich für das Artensterben. Zudem steigt die Prävalenz ernährungsmitbedingter Erkrankungen weltweit immer weiter an. Die Gesellschaft steht vor Herausforderungen, denen mit entschlossenem politischem Handeln begegnet werden muss. Um geeignete Handlungsoptionen zu identifizieren und die (un-)beabsichtigten Wirkungen politischer Maßnahmen abzuschätzen, ist wissenschaftliche Evidenz notwendig. Die Evidenzgrundlage für drei Ansatzpunkte – Regulierung von Lebensmittelwerbung, Lebensmittelbesteuerung sowie Ernährungsbildung – beschreibt Dr. Peter von Philipsborn im Beitrag „Wissenschaftliche Evidenz in der Ernährungspolitik“ [1].

Das globale Ernährungssystem produziert heute ausreichend Nahrung für mehr als sieben Milliarden Menschen. Hochkomplexe Produktionssysteme und Lieferketten stellen sicher, dass eine wachsende Weltbevölkerung ganzjährig, mit minimalem Aufwand und zu günstigen Preisen mit Lebensmitteln versorgt werden kann. Auf der anderen Seite steht das Ernährungssystem vor großen Herausforderungen: Es ist für ein Viertel bis ein Drittel der globalen Treibhausgasemissionen verantwortlich und stellt die wichtigste Antriebskraft hinter Biodiversitäts- und Habitatverlust, Landdegradierung und dem Verlust nutzbarer Süßwasserreserven dar. Jedes Jahr sterben viele Milliarden Lebewesen für die Produktion tierischer Lebensmittel. Dies wirft berechtige Fragen hinsichtlich Ethik und Verantwortung auf.

Darüber hinaus, hat das Ernährungssystem auch Folgen für unser Gesundheitssystem: 15 % aller Todesfälle und 17 Mrd. € Gesundheitskosten pro Jahr sind allein hierzulande auf unausgewogene Ernährungsmuster zurückzuführen. Die Prävalenz ernährungsmitbedingter Erkrankungen steigt weltweit an und wächst insbesondere in den Entwicklungs- und Schwellenländern rasant.

Die aktuellen Herausforderungen an das globale Ernährungssystem erfordern organisierte gesellschaftliche Anstrengungen und politisches Handeln. Wissenschaftliche Evidenz kann helfen, vielversprechende politische Maßnahmen zu erkennen. Zentrale Prinzipien der Evidenzbasierung lassen sich auch auf Public Health und die Ernährungspolitik anwenden. Eines dieser Prinzipien ist bspw., dass statt der Betrachtung einzelner Studien, der Gesamtkorpus der verfügbaren Evidenz zu ernährungspolitischen Themen berücksichtigt werden muss. Im Sinne eines notwendigen Methodenpluralismus müssen diverse Formen direkter und indirekter Evidenz eingeschlossen werden. Ein weiteres Prinzip lautet, stets die beste verfügbare Evidenz zu nutzen.
In der evidenzbasierten (Ernährungs-)Medizin und den Ernährungswissenschaften kommt randomisierten kontrollierten Studien (RCTs) eine hohe Evidenz zu. Diese gelten als die zuverlässigsten Erhebungen, um die Auswirkungen von Interventionen auf individuelle gesundheitliche Endpunkte zu untersuchen und Kausalzusammenhänge zu belegen. Aus RCTs gewonnene Erkenntnisse stellen auch eine wichtige Grundlage für ernährungspolitische Entscheidungen dar – so konnte z. B. anhand RCTs gezeigt werden, dass ein regelmäßiger Süßgetränkekonsum eine Gewichtszunahme begünstigt, was zur Einführung von Süßgetränkesteuern in vielen Ländern beitrug.
Allerdings können viele ernährungspolitisch relevante Fragen nicht oder nur unzureichend mit RCTs untersucht werden.
Deshalb ist es in der evidenzbasierten Ernährungspolitik besonders wichtig, verschiedene Formen direkter und indirekter Evidenz miteinander zu kombinieren. Die Notwendigkeit eines solchen Methodenpluralismus wird auch in der evidenzbasierten Public Health zunehmend anerkannt.

Im Beitrag werden effektive ernährungspolitische Maßnahmen anhand von drei Beispielen illustriert:
1. Regulierung von Lebensmittelwerbung: z. B. die gute Wirksamkeit von Alkohol- und Tabakwerbebeschränkungen oder, dass die Exposition gegenüber Lebensmittelwerbung den Konsum ungesunder Lebensmittel erhöht.
2. Lebensmittelbesteuerung: z. B. zeigten quasiexperimentelle Studien mit einer direkten Evidenz die Wirksamkeit von Süßgetränkesteuern in bislang 50 Ländern.
3. Ernährungsbildung und -aufklärung: Die Wirksamkeit der Verbindung von Verhaltens- und Verhältnisprävention. Verhaltensprävention (z. B. Ernährungsbildung und -aufklärung) kann verhältnispräventive Ansätze sinnvoll ergänzen und deren Wirksamkeit erhöhen.


[1] Der Beitrag basiert auf dem Print-Artikel aus der ERNÄHRUNGS USMCHAU 1/2022 von Seite M22 bis M29.

Den vollständigen Artikel finden Sie hier.

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