© Evgeny Sergeev / iStock / Thinkstock
Fischgehege in der Norwegischen See. © Evgeny Sergeev / iStock / Thinkstock

Interview: „Die Aquakultur steht zu Unrecht in der Kritik"

Fisch und Fischprodukte gelten aufgrund ihres hohen Gehalts an mehrfach ungesättigten Omega-3-Fettsäuren als besonders wertvolle Lebensmittel. Für eine ausgewogene Ernährung kann der Verzehr von Fisch aus Aquakultur eine gute Alternative zu Seefisch darstellen. Doch welcher Fisch ist der Richtige? Und ist Aquakultur nicht vielleicht schädlich für die Tiere und die Umwelt? Die ERNÄHRUNGS UMSCHAU Online-Redaktion sprach mit dem Meeresbiologen Dr. Bernd Ueberschär von der „Gesellschaft für marine Aquakultur" (GMA) in Büsum über Zuchtfischarten, Produktionsmethoden, ökologische Aspekte und das, was jeder Konsument beim Fischeinkauf beachten kann.

Meeresbiologe Dr. Bernd Ueberschär von der GMA in Büsum. © privat

Herr Ueberschär, wie oft essen Sie Fisch und welchen am liebsten?

Dr. Bernd Ueberschär: Ich versuche mindestens einmal in der Woche Fisch zu essen; das gelingt mir auch meistens. Mein absoluter Favorit sind frischgeräucherte Renken, die es leider noch nicht in nennenswerten Mengen aus der Aquakultur gibt. Bei den Aquakulturarten suche ich mir meistens Wolfsbarsch oder Dorade aus.

Beim Wochenendeinkauf gilt meine Aufmerksamkeit auch dem Fischangebot auf dem Marktstand oder in den Kühltheken im Supermarkt. Leider finde ich dort nicht so oft Produkte, die meinen persönlichen Ansprüchen genügen.


Was für Ansprüche sind das?

Ueberschär: Zum Beispiel, dass es sich um frische Ware handelt. Die finde ich so gut wie nie im Supermarkt, da das meiste Fischangebot gefroren in den Truhen liegt. Vor allem die vollständig in Pappe verpackten Produkte lassen nicht erkennen, was man bekommt. Zuhause gib es dann eine negative Überraschung, wenn die Ware nicht frisch aussieht oder riecht. Das ist vor allem bei importiertem Fisch mit langen Wegen der Fall.


Um die Überfischung der Meere nicht zu unterstützen, interessieren sich viele Konsumenten für Aquakultur-Fisch. Aber ist die Alternative aus dem Zuchtbecken überhaupt empfehlenswert? 

Ueberschär: Es ist durchaus in Ordnung, Fisch aus dem Meer essen, wenn man zum Beispiel Hering, Kabeljau, Seelachs oder Scholle gerne mag. Man sollte dann nur darauf achten, dass die frischen Fische oder Produkte nach dem MSC (Marine Stewardship Council / Anm. d. Red.) zertifiziert sind, dann macht man eigentlich nichts falsch. Der Fisch, der im Handel aus Aquakulturen angeboten wird, deckt in der Regel ein anderes Spektrum ab, darunter sind Süßwasserfische wie Karpfen, Regenbogenforellen und Zander oder „exotische" Arten wie zum Beispiel der Victoriabarsch oder Pangasius.

Als Alternative zu Seefisch ist Aquakulturfisch aus meiner Sicht durchaus empfehlenswert. Wenn die Fische aus europäischer Fischzucht stammen, kann man zugreifen, ohne ein schlechtes Gefühl haben zu müssen, vorausgesetzt der häufig doch recht hohe Preis schreckt nicht ab.


Welche wirtschaftliche Rolle spielt Fisch aus Aquakultur weltweit?

Ueberschär: Die globalen Ertragskurven für die Fischerei und Aquakultur haben sich in den letzten Jahren angenähert und beide Ressourcen erwirtschaften heute etwa dieselben Erträge, die zurzeit jeweils bei etwa 90 Millionen Tonnen im Jahr liegen. Während die Erträge aus der Fischerei seit den 90er Jahren trotz immer höherem Aufwand stagnieren, ist die Aquakultur eine Wachstumsbranche mit Steigerungsraten von zeitweise 8 bis 10 Prozent im Jahr.

Allerdings gilt sicherlich, dass die Steigerung der Produktion in der Aquakultur im Wesentlichen auf die Fischzucht in Asien zurückzuführen ist, und sich dort vor allem in China aus der Produktion von karpfenartigen Fischen ergibt. Diese spielen aber auf unseren Märkten in Europa so gut wie keine Rolle. Für Asien gilt auf jeden Fall, dass die sinkenden Erträge aus der Seefischerei über die Aquakultur kompensiert werden. Dort spielt Fisch aus Aquakulturen als Grundnahrungsmittel oft aber auch schon traditionell eine wesentlich größere Rolle als bei uns.


Und speziell in Europa?

Ueberschär:
 In Europa ist Fisch ein eher hochpreisiges Lebensmittel und im Prinzip lohnt sich die Fischzucht. Dass die EU (gemeint sind die 28 Mitgliedstaaten der Europäischen Union / Anm. d. Red.) in den letzten 15 Jahren nicht vom enormen weltweiten Wachstum der Aquakultur profitiert hat, liegt zum Teil an den strengen Umweltauflagen, die es erschweren, eine Aquakulturproduktion zu erweitern oder neu aufzubauen.

Andererseits sind die Preise für Importware häufig so niedrig, dass der Markt beziehungsweise die Konsumenten die deutlich höheren Preise für in Europa produzierte Ware oftmals nicht akzeptieren. Zurzeit werden etwa zwischen 1,2 und 1,5 Millionen Tonnen Fisch innerhalb der EU produziert. Dazu kommt noch etwa eine Million Tonnen Lachs aus Norwegen, die zum großen Teil auch auf dem EU-Markt erscheinen.

Verglichen mit dem Fischkonsum der EU-Bürger, müssen etwa 60 Prozent Fisch- und Fischprodukte aus der Fischerei und Aquakultur nach Europa eingeführt werden. In Deutschland wird nur eine marginale Menge an Fisch produziert, hier müssen wir beim gegenwärtigen Konsum von etwa 15 Kilo Fisch pro Kopf und Jahr etwa 80 Prozent des Bedarfs an Fisch und Fischerzeugnisse importieren. 

Wolfsbarsche aus Aquakultur. © Dr. Bernd Ueberschär

Welche Fischarten werden in der Aquakultur gezüchtet?

Ueberschär: Hier gibt es große Unterschiede in der regionalen und globalen Betrachtung. Zwar gibt es in Europa noch eine bedeutende Karpfenproduktion, dennoch spielen die karpfenartigen Fische in Asien eine weitaus größte Rolle. Für den Konsumenten hier sind eher marine Fische wie Wolfsbarsche, Doraden beziehungsweise Lachse und Forellen die wichtigeren Aquakulturarten geworden. Zander und afrikanische Welse sind ebenfalls schon in der Routineproduktion, die produzierten Mengen sind aber noch gering. Generell lohnt sich dauerhaft in Europa eher nur die Zucht von hochpreisigen Produkten, dies gilt besonders für die Zucht in Kreislaufanlagen.


Wie funktioniert Aquakultur?

Ueberschär: Die Produktionsmethoden in der Aquakultur sind vielseitig, von extensiv bis intensiv, von der Produktion in offenen, naturnahen Gewässern, Netzkäfigen im marinen Bereich bis hin zu vollständig kontrollierbaren Kreislaufanlagen. Der Beginn der Aquakultur fand in naturbelassenen Teichen statt, weitgehend auf der Basis von Naturnahrung. Diese Form der Karpfenzucht und entsprechenden Beifischen wie Schleie, Hecht und Zander gibt es auch heute noch. Die Erträge sind jedoch eher gering und solche Anlagen werden oft als Nebenerwerb geführt. Karpfen sind zudem in Deutschland ein saisonales Produkt und deshalb für den Konsumenten von eher untergeordneter Bedeutung, obwohl sie immer noch, nach den Regenbogenforellen, den zweithöchsten Ertrag in Deutschland darstellen.

Für die intensivere Produktion von Regenbogenforellen werden gegenwärtig vor allem sogenannte Rinnensysteme eingesetzt, die sauerstoffreichen Fließgewässern nachempfunden sind und die Bedürfnisse von Regenbogenforellen und Saiblingen gut erfüllen können. Diese Produktionsform hat, in verschiedenen Größenordnungen, ebenfalls eine lange Tradition.

Für die intensive Zucht von Lachsen, Wolfsbarschen und Doraden werden vor allem Netzgehege in der natürlichen Umgebung eingesetzt. Viele kennen vermutlich die großen Netzgehege in den norwegischen Fjorden, die eine ideale Umgebung für diese Produktionsform darstellen, sofern die Intensität nicht übertrieben wird. Wenn diese Netzgehegeanlagen mit vernünftigen Dichten betrieben werden, bieten sie für die Fische eine Umgebung die der natürlichen sehr nahe kommt.

Kreislaufanlagen sind landbasierte Zuchtsysteme, in denen das Wasser wieder verwendet wird, nachdem es mechanisch und biologisch aufbereitet wurde. Auf diese Weise werden Wasser- und Energiebedarf und hohe Emission von Nährstoffen in die Umwelt reduziert. Diese Systeme haben mehrere Vorteile, wie zum Beispiel Wasserersparnis, eine strenge Kontrolle der Wasserqualität, geringe Umweltauswirkungen, hohe Biosicherheitsstandards.


Gibt es auch Nachteile?

Ueberschär: Ja und zwar hohe Investitionskosten, hohe Betriebskosten, hohe Anforderung an das Management mit entsprechend gut qualifizierten Arbeitskräften sowie Schwierigkeiten bei der Behandlung von Krankheiten bei den Fischen. Die Produktion in Kreislaufanlagen ist noch nicht weit verbreitet, wird aber vermutlich in der Zukunft für Europa eine wichtige Form der Fischerzeugung darstellen. Prinzipiell lassen sich fast alle Fischarten in solchen Kreislaufanlagen züchten; zur Zeit sind es vor allem Wolfsbarsch, Steinbutt, Zander, Aal und Welse.


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